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Große Ferien

Große Ferien

Titel: Große Ferien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Bußmann
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nicht sehr laut seinen Namen sagte und: Es ist gut. Er musste hingehen, der Junge schien, ganz in etwas anderem festgerannt, ihn nicht gehört zu haben. Sprachlos klamm stand er, bis Schramm ihn an der Schulter fasste und gegen seine Gewohnheit leise, so leise, dass es außer ihnen niemand hören konnte, wiederholte: Es ist gut, es reicht. Er musste ihn anfassen, Druck war nötig, Hand an die Schulter, damit Waidschmidt den Zitterarm endlich sinken ließ.
    Aber so etwas konnte man keinem erzählen. Kein Wort verloren hatte er über die Sache, nicht, als kurz darauf die Keilerei passierte, das unerfreuliche Gerede von den Fotografien anfing. Keine Note aufgeschrieben, ihn nie wieder mit einer Frage nach vorn geholt. Jetzt wieder, sooft er daran dachte, verstimmte es ihn. Man nimmt den Menschen ernst, wenn man ihm zeigt, wo und wie er steht. Ungenügend, dachte Schramm, als ungenügend oder verweigert wäre diese Leistung zu beurteilen gewesen. Foppen lassen hatte er sich, von einem kleinen hysterischen Auftritt. Ein Ungenügend hätte er eintragen müssen, ihn gleich darauf ansprechen, als Waidschmidt anderntags im Kartenzimmer saß und von seinen Plänen sprach. Amerika, sagte er und zählte die Namen der besten Universitäten auf, ich kann nicht warten, bis ich hier raus bin. Und wenn daraus nichts wird, fragte Schramm, dann ist es mir auch schon gleich, sagte Waidschmidt, wenn schon, dann alles, sagte er, oder nichts. Dahin hast du es gebracht, dachte Schramm. Hätte dem da schon einer das Höhenruder zurechtgebogen.
     
    Er musste sie loswerden, diese Überlegungen, sie brachten nichts zutage und taten nicht gut. Aussitzen, das war noch das Vernünftigste, aussitzen und nachschenken. Er erwartete Besuch. Sie brauchten nicht zu denken, er könnte nicht für ein heiteres Beisammensein sorgen. Er würde nicht warten, bis die Gläser leer waren, er würde sie füllen, bevor Viktors Freundin es wieder tat. Es war nicht ihre Aufgabe. Wie sie gesessen hatte, dachte Schramm. Die Beine angewinkelt, ein Arm auf der Kopflehne des Sessels. Mit dem anderen, lose herabhängenden, zupfte sie die Goldfädchen aus dem Stoff ihres Rocks, eine selbstvergessene, sanfte Bewegung, indes sie, während Viktor redete, wie abwartend zuhörte, unterdessen mehrmals zu Schramm hinübersah. Ein forschender, seine Erwiderung meidender Blick, bevor sie mit dem Gezupfe aufgehört hatte, als sie merkte, dass er merkte, wie sie ihn musterte. Ihn ansah, um Viktors Aussage zu überprüfen, dass der ältere Bruder von beiden der Klügere sei, wenn nicht ein Genie. Schon in der Kindheit habe sich das gezeigt.
    Ganze Tage auf dem Dachboden, erzählte Viktor, konntest du zubringen, bäuchlings hinter dem Dachfenster auf einem Turm aus alten Matratzen, am Auge ein Fernrohr. Mit deinen Eintragungen, deinen Heften, deiner ausgedachten, von keinem entzifferten Schrift. Oft für Stunden unauffindbar, wie ein Gespenst, lachte Viktor, sich nun zur Frau wendend: aus dem Nichts wieder aufgetaucht, eine Ruhe hatte er an sich, dass Lehrer wie Eltern Sorge hatten um so ein pflegeleichtes Kind.
    Nur aus Verlegenheit, so stellte Viktor es Dritten gegenüber dar, habe Schramm den Beruf des Lehrers gewählt. In Wahrheit sei er zu mehr und anderem bestimmt gewesen. Vor allem wollte der Bruder mit diesen Behauptungen die eigene Eitelkeit trösten. Und es war ja zu verstehen. Der Ältere ein Sonderling, ein wenngleich seltsamer, jedenfalls genialer Mensch, das macht natürlich mehr her! Darum erzählte er diese Episoden und schmückte sie aus, vorgeblich, um zu schmeicheln, obwohl er ihn natürlich mit jedem dieser Anekdötchen ins Lächerliche zog.
    Ein, zwei Stichworte genügten, dachte Schramm, die beiläufige Erwähnung seines Zustands. Man müsste keine Geschichte daraus machen, kein Drama, damit alles Gesagte eine andere Beziehung annahm, sich sämtliche Gewichtungen verschoben und der Ausdruck in den Gesichtern sich wandelte in einen von Furcht und Mitleid, wenn er, nebenher und ohne großen Aufhebens, berichtete, was bestand.
    Auch weit zurückliegende Geschehnisse, Nebensächliches erinnerte Viktor in vielen Einzelheiten. Gern erzählte er, wie Schramm bei einem Sonntagsausflug verloren gegangen war, vermutlich bei der Untersuchung eines Steins, eines am Wegrand verwesenden Tiers zurückgeblieben und lange gesucht worden war. Wir glaubten schon, du seist verunglückt, erzählte der Bruder diese Geschichte, als wäre er damals auf der Seite der Erwachsenen gewesen:

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