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Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba

Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba

Titel: Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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und grub sich tief in den Hals des Drachen.
    Rima stieß einen Schrei aus. Sie fiel auf die Knie, so plötzlich verschwand die Fessel um ihre Kehle, aber sie fühlte den Schmerz kaum. Atemlos sah sie zu dem Drachen auf, sah das schwarze Blut, das über seine Brust lief, und wandte im selben Moment wie er den Blick zum Eingang der Höhle. Regungslos stand dort ein Mann in einem dunklen Umhang, einen Wolf aus Feuer neben sich. Kayron.
    Der Drache fuhr herum. Blitzschnell schlug er nach dem Jäger aus, doch dieser sprang hoch in die Luft, entfachte blaues Feuer in seiner Faust und schleuderte es auf seinen Feind. Tosend hüllten die Flammen den Drachen ein. Er bäumte sich auf vor Schmerz, aber kaum trat das tiefe Grollen aus seiner Kehle, da loderte das Feuer seines Panzers auf. Golden fraß es sich in die Glut des Jägers, und als der Drache den Kopf zurückriss und brüllte, sprengte er den Zauber von seinem Leib. Donnernd peitschte seine Stimme durch die Höhle und ließ die Bilder in tausend Scherben zerspringen.
    Rima duckte sich vor den Feuerklumpen, die durch die Luft rasten und sich zu flammenden Schleiern entfachten. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der Wolf zum Sprung ansetzte. Knurrend landete er auf dem Rücken des Drachen und grub die Zähne tief in dessen Fleisch. Der Drache schlug mit den Schwingen, dass Teile der Decke einstürzten, während Kayron sein Schwert in Flammen setzte und mit rasender Geschwindigkeit nach ihm stach. Er traf das Untier mehrfach; das Blut des Drachen verkohlte den Boden, ehe es sich mit weißem Frost überzog. In dem Moment jedoch, als sich Kayron wie von unsichtbaren Winden getragen in die Luft erhob und das Schwert auf die Kehle des Drachen richtete, sprang dieser zurück und zermalmte den Wolf zwischen der Höhlenwand und seinem glühenden Leib. Überdeutlich hörte Rima das Knirschen der Knochen. Sie sah den reglosen Körper eines Hundes. Gleich darauf ließ ein schmerzerfüllter Schrei des Jägers sie zusammenzucken. Wild riss Kayron sein Schwert in die Höhe – er erwischte den Drachen an der Schulter, dass sein Fleisch auseinanderklaffte, aber ehe er ihn erneut verwunden konnte, holte dieser zum Schlag aus und traf ihn mit voller Wucht. Krachend landete Kayron an einem Felsen und fiel zu Boden.
    Die Stille, die sich über die Szene legte, mutete so unwirklich an, dass Rima den Atem anhielt. Die Schritte des Drachen waren schwer, als er sich dem Jäger näherte, doch sie nahm sie kaum wahr. Sie sah nur Kayron, zusammengesunken und hilflos vor dem gewaltigen Tier. Jede Arroganz war aus seinen Zügen gewichen; vergebens tastete er mit zitternder Hand nach seinem Schwert, und als er ihren Blick auffing und schrie, sah sie nicht mehr ihn in seinem eigenen Blut. Rima sah ihren Vater vor sich, gebrochen und allein auf der Klippe, Auge in Auge mit dem Schwarzen Drachen.
    »Hilf mir!«, brüllte Kayron, doch es war die Stimme ihres Vaters, die sie hörte, und noch ehe der Drache den Kopf hob und den Schlund für eine Feuersbrunst öffnete, sprang sie vor. So schnell sie konnte, rannte sie über den zerklüfteten Boden, wich den Flammenwirbeln aus, die sie verbrennen wollten, und zog sich an den Auswüchsen eines Stalagmiten empor. Der Drache war ihr jetzt so nah, dass sie die eisige Glut seines Körpers wie Gift auf ihrer Haut fühlen konnte. Schon hörte sie das tiefe Grollen in seinem Schlund, als sich das Feuer seinen Weg bahnte. Sie sah die verwundete Gestalt zu seinen Füßen, und sie spürte den Sturm der Klippe so schneidend in ihrem Fleisch, dass sie nicht länger zögerte. Atemlos stieß sie sich vom Felsen ab, umfasste die Schuppe mit beiden Händen und rammte sie dem Drachen in die Brust.
    Die Waffe glitt durch seinen Panzer wie durch Seide, doch kaum berührte sein Blut ihre Haut, wurde ihr schwarz vor Augen. Rima befand sich nicht länger in der Höhle – sie raste über den Nachtwald hinweg. Und erst als sie ihren gewaltigen Schatten auf Berrus’ Wiese sah, begriff sie, dass sie in die Gedanken des Drachen geraten war. Die Schreie der Schafe schnitten ihr ins Fleisch, marterten ihre Sinne, als würden sich Dornen von innen gegen ihre Haut drücken. Rima rechnete damit, jeden Augenblick eine mächtige Feuersbrunst aus ihrer Kehle brechen zu fühlen. Sie spürte einen Zorn, der tief in ihrer Brust loderte, gleißend wie das tödliche Feuer in der Dunkelheit: Es war der Zorn des Drachen. Rima wusste, dass sie nur einen Hauch dessen empfand, was in diesem Wesen

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