Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba
ein Dummkopf stellt sich gegen ihre Gesetze. Aber dein Volk hat mir gute Dienste erwiesen, ebenso wie du.«
»Ihr habt mich beobachtet«, brachte sie hervor. »Ihr brauchtet die Schuppe, um den Drachen zu verwunden, und ich …«
»Du hast getan, was ich wollte«, unterbrach er sie regungslos. »Ich habe nichts anderes von dir erwartet. Du bist ebenso töricht und schwach wie dein Vater. Sein Ruf reichte weit in den Kreisen der Jagd, musst du wissen, ebenso wie die Legende des Drachentöters, den er besaß. Du hast dessen Kraft zu nutzen gewusst. Du hast das Untier tödlich verwundet, wie ich es vorausgesehen habe.« Er krallte eine Hand in die Wand und zog sich hoch. Im selben Moment ließ der Schwindel Rima auf die Knie sinken. Ihr Herz raste in ihrer Brust, als wollte es ihre Rippen durchbrechen. Verschwommen nahm sie den verächtlichen Blick wahr, mit dem Kayron sie bedachte.
»Jämmerlich«, murmelte er und spuckte abfällig aus. Er wandte sich zum Gehen. Rima stützte sich an einem Felsen ab und versuchte vergebens, sich hochzuziehen. »Warum jagt Ihr ihn?«, rief sie. »Warum wollt Ihr ihn töten, obwohl er nichts getan hat? Ihr seid …«
Weiter kam sie nicht, denn da fuhr Kayron herum und packte sie am Kragen. Er hob sie in die Luft; blaue Flammen glitten über seine Finger und verbrannten ihr das Fleisch. »Nichts getan«, zischte der Jäger. Er war ihr jetzt so nah, dass sie seinen Atem auf den Wangen spüren konnte. »Wie viele seiner Ahnen haben Städte und Dörfer meines Volkes ausgelöscht, wie viele Kriege hat es gegeben in lang vergangener Zeit, wie viel Blut ist geflossen aufgrund der Bosheit der Drachen! Immer wieder haben sie uns zu Boden geworfen, uns, die wir schwach und wertlos sind in ihren Augen – und das nur aus einem einzigen Grund: Weil sie die Macht dazu haben! Doch das ist jetzt vorbei. Ich werde mir holen, was mir zusteht, mir, der ich ein Jäger der Schatten bin! Ich hole mir sein Herz!«
Rima starrte ihn an. Kurz meinte sie, dass er den Verstand verloren hätte, doch er lächelte kalt, und sie begriff, dass er die Legenden glaubte, die sich die Menschen erzählten: Das Herz eines mächtigen Drachen, so besagten sie, barg das Wesen der Magie und damit … Unsterblichkeit. Entsetzen zog ihr den Magen zusammen. Der Jäger weidete sich lächelnd an ihrem Schrecken. Dann ließ er sie fallen wie ein Bündel Lumpen und folgte der Spur des Drachen.
Rima sank auf die Knie. Schwarze Schatten zogen an ihren Augen vorüber, während sie krampfhaft versuchte, zu Atem zu gelangen. Viel zu wenig Luft drang in ihre Lunge, es schien ihr, als hätten die Flammen des Jägers ihre Kehle zusammengepresst. Aber sie drängte die Ohnmacht zurück, die dunkel an den Rändern ihres Bewusstseins lauerte. Keuchend grub sie die Hände in die Scherben der zerbrochenen Bilder. Schattenhaft flammten sie in ihr auf, als wären es ihre eigenen Gedanken gewesen, und sie fühlte noch einmal die Blüten des Baumes auf ihrer Haut. So schwach war sie gewesen – schwach genug, um sich von einem Menschen für dessen Zwecke missbrauchen zu lassen; schwach genug, um jedes seiner Worte über ihr Volk zu bestätigen; schwach genug, um ein Wesen zu verwunden, das sie auf diese Weise angesehen hatte. Doch sie würde nicht zu schwach sein, um dieses Wesen zu retten.
Rima spürte noch immer die Kälte der Schuppe in ihrer Hand, und vielleicht war es dieses Gefühl, das sie auf die Beine zwang. Die Scherben knirschten unter ihren Schritten, als sie der Blutspur des Drachen folgte. Noch glommen die Splitter in goldenem Schein, aber er wurde bereits schwächer, und als Rima die Schuppe hob, ergoss sich das silberne Adergeflecht mit rasender Geschwindigkeit in den Tunnel. Mit jedem Schritt auf diesem Licht kehrte Kraft in sie zurück, so schien es ihr, und sie begann zu laufen. Die Höhlen um sie herum flogen nur so an ihr vorbei, bis sie auf einmal die kühle Luft der Alten Zwergenmine wahrnahm. Von ferne klang Donner zu ihr herüber. Sie fühlte die Glut des Feuers, das aus dem Schlund des Drachen brach, konnte hören, wie die Luft unter den Flammen von Kayrons Schwert zerriss, und noch während sie weiter durch die Stollen preschte, erblickte sie die Feinde am Ende des Tunnels in einem wilden Kampf. Dröhnend schlug der Schwanz des Drachen gegen die Wände. Immer wieder wich Kayron den Hieben aus, doch auch der Drache entging der flammenden Wut seines Schwertes, und nur manchmal brüllte einer von beiden in namenlosem
Weitere Kostenlose Bücher