Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba
der Stadt zunächst jenseits der Mauer fortgesetzt worden, bis das Bauwerk schließlich nur noch als billige Quelle für Baumaterialien genutzt wurde. Lediglich die zwei Tore waren übrig geblieben, eins an der Hauptstraße im Norden und eines im Süden; Festungstore wurden sie genannt, auch wenn es hier niemals eine Festung gegeben hatte.
Die drei Männer, die sich während des Regengusses unterstellten, kannten einander. Sie waren Stützen ihrer Gemeinde, in der Stadt wohl angesehen, und sie hatten keinerlei Grund, an ihrer eigenen Bedeutung für das Gemeinwesen zu zweifeln.
Der kleinste von ihnen, Tiskan Hartholz, kaum drei Fuß groß, erreichte das Tor als Erster. Er besaß zwei Sägemühlen am Fluss, in denen Dutzende von Arbeitern seinen Reichtum mehrten.
Gleich nach ihm duckte sich Armas Hoppenschlag in das düstere Zwielicht des Torbogens. Von seinen einfachen Anfängen als Schmiedegeselle hatte er sich zu einem der gefragtesten Goldschmiede im ganzen Land hochgearbeitet, und er zeigte seinen Reichtum gerne. Auch jetzt spannte sich wieder ein Wams aus teuerstem Stoff über seinem beeindruckenden Bauch, und er trug vier schwere Goldringe an den Fingern. Er nickte Tiskan zu, den er um gut eine Haupteslänge überragte, und verzog für einen Augenblick das Gesicht, als er den nächsten Schutzsuchenden erblickte.
Doran van de Botterblom war noch ein ganzes Stück entfernt, als der Regenschauer begann. Jeder andere wäre sofort losgelaufen, doch ein Botterblom rannte nicht. Normalerweise wäre Doran trotz seiner bereits durchweichten Kleidung bis zu seinem Heimathaus im Herzen der Stadt geschlendert, mitten auf dem Hügel, nahe des Ratshauses im besten Viertel, hätte er nicht die beiden anderen im Tor entdeckt und sich dafür entschieden, seine Volksnähe zu demonstrieren, indem er sich zu ihnen gesellte.
»Einen wunderschönen guten Tag, meine Herren«, begrüßte er sie mit einer genau abgezirkelten Neigung des Kopfes. Seine Kleidung mochte nass sein, aber sie zeigte noch immer auf geschmackvolle Art und Weise den Stand und das Ansehen ihres Trägers. Besonders schön war die Brokatweste mit den Goldstickereien in floralem Stil. Armas wünschte sich, er hätte auch so eine Weste.
»Was ist an dem Pisswetter schon schön?«, entgegnete er entsprechend grantig. In seinen Worten klang seine einfache Herkunft noch deutlich mit, und er vermutete, dass Doran auch deswegen milde lächelte.
Die Botterbloms waren im Schleuderschützenverein lediglich Ehrenvorsitzende – eine Position, die ihnen traditionell zustand. Daher nahmen sie niemals an den Turnieren teil, doch Armas war zu Ohren gekommen, dass Doran sich hinter verschlossenen Türen dagegen ausgesprochen hatte, ihm die Ehre des Sieges und damit den Titel des Schussmeisters zu gewähren. Und das, obwohl Armas vorher längst alle Honoratioren des Vereins im persönlichen Gespräch überzeugt und allen das größte Schleuderschützenvereinsfest aller Zeiten versprochen hatte, selbstverständlich komplett aus seiner tiefen Tasche bezahlt.
Selbst Tiskan war bereits Schussmeister gewesen, obwohl er sich kein so großes Fest leisten konnte, aber Tiskan hatte seinen Besitz auch geerbt, und die Hartholzens waren schon lange angesehene Bürger der Stadt. Vermutlich erwiderte der Holzhändler deshalb auch Dorans Lächeln.
»Eine Pfeife, die Herren?«, versuchte er die Situation zu entschärfen. »Ich habe bestes Ronnerländer Blatt dabei.«
»Zu gern, zu gern«, entgegnete Doran, und selbst Armas willigte knurrig ein. Schnell hatten sie ihre Meerschaumpfeifen gestopft und bliesen blauen Dunst hinaus in den Regen.
»Wenigstens ist das Wetter gut für die Ernte.«
»Wie wahr.«
»Zumindest für den Weizen.«
»Und für den Wein.«
»Aber so ein Guss kann auch Schäden auf den Feldern anrichten.«
»Mhm.«
Sie pafften eine Weile in wohligem Schweigen. Der Rauch sammelte sich in dem Torbogen und wehte in den Schauer, der, wenn das überhaupt möglich war, noch intensiver geworden war.
»Habt ihr das von Bando Laufberg gehört?«, erkundigte sich Tiskan und gab sich damit natürlich unwissender, als er war.
Die anderen beiden beugten sich leicht vor, ihr Interesse war geweckt. Natürlich hatten sie von Bando gehört – wer nicht? Er war seit seiner Rückkehr Stadtgespräch.
»Ach, ihr wisst doch, was die Leute reden.« Doran winkte ab. »Vermutlich war er nur in Krähwinkel, Rüben kaufen.«
»Vermutlich«, entgegnete Tiskan und ließ einen Moment der
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