Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba
Abend den langen Marsch wert sein.
»Manche haben keinen Funken Höflichkeit im Leib«, antwortete ihm leise der Zauberer wie aus dem Nichts, der auch für den kleinen Scherz mit dem Licht verantwortlich gewesen war.
»Wie wahr, wie wahr«, erwiderte Bando und machte sich auf den Weg nach Hause.
DER STEINERNE FLUCH
von Linda Budinger
Als die Riesen von Norden kamen, beanspruchten ihre Könige alles Land, wo Sternenlicht sich im Wasser spiegelt. Die Fahlen hielten das Grimme Gebirge und seine kalten Seen gegen die Armeen der Riesen, und sie schworen Stein und Bein, jeden Felsgrat zu verteidigen, denn diese Berggeister entsprossen selbst dem Gestein.
Auf und ab wogte der Kampf, bis Einsicht die Flamme des Kriegs erstickte. Die jeweiligen Armeen zogen sich in die jeweiligen Reiche zurück.
In dem Gebiet zwischen Riesen und Fahlen siedelte ein kleines Volk. Sumpfige Marschen erstreckten sich am Fuße von mit Heide überwachsenen Hügeln, und das braune Wasser spiegelte kein Sternenlicht. Die Bewohner waren nur halb so groß wie die Riesen und schmaler als die Fahlen, weshalb sie Halblinge genannt wurden. Sie selbst brauchten keine Namen außer denen, die ihnen die Eltern gegeben hatten.
»Haaaru!«, schallte es über den Broichhuser Dorfplatz. »Sind sie endlich da?«
Haru schrak aus seinem Schläfchen auf und stieß sich den Kopf an den Holzbohlen. Er hockte unter dem hohlen Boden des Hauses, wo ihn niemand suchen würde, der ihn nicht gut kannte. Das Problem war nur, dass sein Großvater Pardu ihn ziemlich gut kannte …
Haru rieb sich immer noch benommen den Scheitel, als zwei Beine vor ihm auftauchten. »Wo steckst du wieder, Junge?« Haru wollte zur Rückseite entwischen, aber Pardu angelte mit seinem Krückstock nach ihm. Die Krücke war ein Hirtenstab, und nach einem Leben voller Mutterschafe und Lämmer wusste Pardu die gewundene Spitze gut zu gebrauchen. »Hab was am Haken!«, rief er triumphierend und zog den empörten Jüngling im Nu ans Tageslicht.
Haru blinzelte gegen die Mittagssonne an. »War das wirklich nötig?«
Pardu Schäfer richtete sich auf, so gut es mit seinem vom Alter gebeugten Rücken möglich war. »Was verkriechst du dich auch wie ein Fahler vor dem Himmelslicht? Und zieh den Hut gerade. Die Händler können jeden Moment eintreffen, und dein Kopf sieht aus wie ein geplatztes Bündel Weidenruten.«
Der Großvater war nicht allein gekommen. »Genau, setz deinen Hut auf, Schwager!«, fiel Skaggi ein und rückte seine eigene Kopfbedeckung zurecht, einen speckigen Lederkegel. »Sonst denken die Händler, deine Flausen hingen dir aus dem Schädel heraus.«
Haru knurrte. Sein Großvater mochte ihn tadeln, aber was bildete sich Skaggi Erpelbach ein? Er drückte seinen Binsenhut betont schräg auf den widerspenstigen Schopf. »Noch sind wir keine Verwandten, und zur selben Familie werden wir sowieso nie gehören.« Er ließ Skaggi spüren, dass der nur ein Torfstecher war, während die Schäfers zu den reichen Familien im Dorf zählten.
Hörbar sog Pardu die Luft ein. Skaggis Schultern sanken herab, und Haru bedauerte seine Worte beinahe wieder. Aber da sie nun einmal ausgesprochen waren, ließ er sie stehen wie einen Eiswall und wandte sich ab. »Ich suche jetzt diese saumseligen Händler, obwohl ich eigentlich nicht weiß, warum.« Seinetwegen konnte die Hochzeit gerne platzen.
Haru schritt zügig aus. Unter seinen blanken Sohlen wich die festgetretene Erde des Dorfplatzes krautigem Gras und dann dem feuchten Boden der Senke. Er lief vorbei an Skaggis Elternhaus. An der Wand stapelten sich die Torfsoden auf einem Trockengestell. Wie die übrigen schilfgedeckten Behausungen war das Gebäude zum Schutz gegen Überschwemmungen auf einem doppelten Holzboden errichtet. Dennoch gehörte das Haus am Dorfrand nicht richtig dazu. Es war zu neu. Bald würde Harus Schwester hier leben.
Musste sich Reseli ausgerechnet in diesen elenden Schlammwühler verlieben? Haru vermisste sie jetzt schon. Mehr als seine Brüder Jost und Tay, die sowieso die halbe Zeit bei der Herde wachten. Die Hochzeit sollte Ende der Woche stattfinden, zur Sommersonnenwende. Zahlreiche Leckereien, bunte Papierlaternen und Hochzeitsgeschenke waren bereits vor der Lämmersaison bestellt oder beim Handelshaus von Herk Harkson zur Fertigung in Auftrag gegeben worden. Aber die Moorlichter meinten es wohl nicht gut mit der geplanten Verbindung. Der Imker hatte Honigwein angesetzt, von dem die Hälfte verdorben war. Im letzten
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