Grosse Geschichten vom kleinen Volk - Ba

Stille verstreichen. »Allerdings hat mir die Frau von Fischer Gerad – ihr wisst schon, der auch die Fähre am Lautwasser betreibt – erzählt, dass Bando da übergesetzt ist.«
    »Mhm.«
    »Er soll ja gleich zwei Grautiere dabeigehabt haben«, warf Armas ein, unwillig, sich vom Holzhändler ausstechen zu lassen. »Vollgepackt.«
    »Angeblich Vorräte für eine lange Reise.«
    »Mhm.«
    Sie zogen an ihren Pfeifen und stellten sich vor, wie das wohl ausgesehen haben mochte.
    »Er hat Fremde getroffen«, spielte Doran seinen Trumpf aus. Tiskan starrte Doran mit aufgerissenen Augen an.
    »Fremde?«, hauchte er. »So richtige Fremde? Nicht von hier?«
    Doran verschränkte die Arme vor dem Bauch und nickte bedächtig. Er genoss den Moment sichtlich.
    »Richtige Fremde. Ich hab’s aus einer verlässlichen Quelle.«
    »Großgewachsene«, warf Armas schnell ein. »Aber nicht nur.«
    Jetzt sahen ihn beide mit großen Augen an.
    »Ich habe es von Bauer Farfell, ihr wisst schon, der letztes Jahr beim Erntefest den Preis für den schönsten Kürbis gewonnen hat. Er hat ein Feld nahe der Alten Hecke, da, wo die Straße in den Rögelwald führt.«
    »Was meinst du damit, nicht nur Großgewachsene? Was denn noch?«
    So ganz genau wusste Armas das nicht, denn der grimmige Farfell hatte sich kaum mehr Informationen aus der Nase ziehen lassen, also wiederholte er einfach die Worte des alten Kauzes: »Buntes Volk. Ganz schön buntes Volk.«
    Jetzt war es an Tiskan, selbstgefällig zu klingen. »Dann sind sie nach Ressem gezogen. Mein Schwager liefert jeden zweiten Dienstag sein Meister-Bräu dorthin. Und in einer der Ressemer Herbergen wurde Bando gesehen.«
    »Raues Pflaster, dieses Ressem«, gab Armas weiter, was er so gehört hatte. »Lauter Großgewachsene. Diebe und Halsabschneider überall. Das ist kein guter Ort.«
    Die anderen beiden nickten bekräftigend und gaben zustimmende Brummlaute von sich.
    »Aber Bando ist nicht dageblieben. Er ist quer durch die Sümpfe …«, fuhr Tiskan fort.
    »Nein!«
    »Wenn ich es dir doch sage. Direkt in die Sümpfe.«
    »Mit den Fremden?«
    Armas konnte kaum glauben, was er da hörte, aber Tiskan nickte, auch wenn er das nicht genau wusste. Aber wie sollte es anders sein?
    » Als er wiederkam, hatte er jedenfalls einen ganzen Wagen dabei, voll beladen. Wer weiß, was da drauf war?«, fragte Armas.
    »Ist jedenfalls nicht so, dass er noch was brauchen würde«, gab Tiskan zu bedenken. »Er hat ja eine schöne Erbschaft gemacht.«
    »Die Laufberg-Höhle im grünen Hügel, und es heißt, sein Großvater väterlicherseits hatte einen ganzen Keller voller Münzen.«
    »Der alte Artem hat ja auch ausgestopfte Wiesel gesammelt.«
    »Ich kannte den Alten, das war ein schräger Vogel«, erklärte Doran. »Die ganze Familie …«
    Er musste nicht weitersprechen, denn sie alle wussten, was gemeint war. Kein Mitglied der Laufberg’schen Familie war jemals Mitglied im Schleuderschützenverein gewesen oder hatte einen nennenswerten Beitrag zum Erntefest geleistet – oder auch nur an den Verschönerungswochen teilgenommen. Alle drei dachten das Gleiche: Irgendwie hat man es immer schon gewusst.
    Ein wenig Mörtel rieselte vom Gemäuer herab. Das Tor war alt und wurde kaum noch instand gehalten. Armas strich sich den Schmutz von der Schulter.
    »Er ist bestimmt bis nach Karteg gekommen«, überlegte er halblaut, mehr für sich als für die anderen. »Er soll ja auch ein Schwert dabeigehabt haben.«
    »Meint ihr, dass er gekämpft hat? Er hat bestimmt gekämpft, oder?«, fügte Doran hinzu. »Auf den Straßen jenseits des Rögelwalds gibt es jede Menge Briganten und …«
    »Brig … was?«
    »Räuber«, erklärte Doran so milde, als ob er es mit einem Begriffsstutzigen zu tun hätte, was Armas mächtig wütend werden ließ. »Jedenfalls gibt es da Briganten … entschuldige, Räuber , und allerlei grauenhaftes Ungetier.«
    »Wie … Mücken? Oder Schmeißfliegen? Spinnen?«
    »Nein, Mantikore, Drachen, Beißwölfe …«
    Erinnerungen an schaurige Geschichten aus seiner Kindheit stiegen in Armas auf, an schreckliche Monster, die jeden Wanderer überfielen und auffraßen, wenn sie nicht sogar Schlimmeres taten. Er schluckte.
    »Bando wird wohl einen Zauberer dabeigehabt haben.« Das machte endlich den gewünschten Eindruck. Die beiden anderen hätten vor Entsetzen beinahe ihre Pfeifen fallen lassen. »Na, um mit dem ganzen Pack fertigzuwerden«, fuhr er selbstgefällig fort.
    »Magier«, murmelte Tiskan.