Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition)

Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition)

Titel: Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aileen P. Roberts
Vom Netzwerk:
sich herum vergessen. Angestachelt von dem Wettstreit mit seinem Bruder, hörte er nur noch auf dessen Schritte hinter sich und stürmte auf das große, halb von Asche verdeckte und verkohlte Scheunentor zu. Ungestüm schob er die Hände in den Spalt der beiden Halbtore und riss eines von ihnen gerade so weit auf, dass er sich hindurchzwängen konnte. Der Lichtschein durchschnitt die dahinterliegende Dunkelheit wie ein Messer und ließ eine Schar von gefiedertem Kleinvieh wild durcheinander flattern. Milo fixierte kurz eines der geschunden aussehenden Hühner und hechtete hinterher. Für einen kurzen Moment wurde es abermals dunkel, als Bonne sich durch das Tor quetschte, um ebenfalls sein Glück zu probieren. Milo sah die Hand vor Augen nicht mehr, doch ein Huhn, das einem Halbling entkommen konnte, musste erst noch schlüpfen. Elegant bekam er einen Flügel zu fassen, warf das Federvieh in die Luft und hatte es einen Moment später bei den Beinen gepackt. Er spürte, wie ein anderes Huhn hilflos um seine Füße flatterte. Schwungvoll ging er in die Hocke, zog den flüchtenden Vogel zu sich heran und klemmte das weiche Bündel zwischen Unterarm und Hüfte ein.
    »Ich habe zwei«, rief er triumphierend aus und trat zurück in den Lichtschein, der durch das Tor fiel.
    »Ich habe nur eins«, grummelte sein Bruder, »oder besser gesagt ein halbes«, fügte er angeekelt hinzu.
    Bonne drückte sich gegen das Tor, um mehr Licht in das Gewölbe hineinzulassen und seinen Fang genauer zu inspizieren. Doch bevor er das Federvieh in Augenschein nehmen konnte, brach Milo bereits in schallendes Gelächter aus.
    »Jeder so, wie er kann«, prustete Milo. »Wenn du Angst hast, dass es dir wieder davonrennt, kann ich es gerne für dich anpflocken.«
    Bonne wusste sofort, worauf sein Bruder anspielte. Dem Huhn fehlte ein Bein sowie ein Flügel auf der rechten Seite. Es sah aus, als wenn es von einem Marder oder Dachs angefallen worden war. Angewidert betrachtete er das halb gerupfte Geflügel, dann sah er zu seinem Bruder hinüber.
    »Wie es aussieht, waren deine auch nicht gerade schwer zu fangen«, knurrte er.
    Milo schaute an sich herab und nahm seinen Fang ebenfalls in Augenschein. Bonne hatte Recht, dem ersten Huhn hing der Kopf herab, als hätte ihm jemand den Hals umgedreht, dem anderen stachen lediglich zwei rote Stümpfe aus dem Unterkörper, wo sonst die Beine und Füße hätten sein sollen. Obendrein wiesen beide größere kahle Stellen im Gefieder auf. Milo versuchte vorsichtig, den Kopf des ersten Huhns zu richten, aber er sackte immer wieder zur Seite weg.
    »Hühner sind äußerst robuste Tiere«, erklärte er. »Es gab welche, denen man den Kopf abgeschlagen hat und die trotzdem quer durch den Stall rannten und ein Mordsgezeter veranstalteten.«
    Bonne schien seinem Bruder gar nicht zugehört zu haben. Er ließ sein Huhn fallen und lief zielgerichtet, dem Lichtschein folgend, an seinem Bruder vorbei in den hinteren Teil der Höhle.
    Milo schaute noch einen Augenblick auf das hilflos am Boden flatternde Tier, wie es versuchte, sich vor dem Licht zu verstecken, als wenn sein Aussehen ihm peinlich war, dann drehte er sich um und beobachtete Bonne, der sich mittlerweile an einer weiteren Tür zu schaffen machte. Milo wollte gerade Einspruch erheben, als er erkannte, dass die Tür in halber Höhe endete und zu einem Verschlag gehörte, über dessen Rand zwei lustig wackelnde Ohren hinweglugten.
    »Ein Pferd!«, rief er verzückt aus.
    »Mein Pferd«, berichtigte Bonne ihn. »Du bist mehr so der Hühnertyp.«
    »Was machst du da?«, fragte Milo, als er sah, dass sein Bruder die Verriegelungen zurückschob.
    »Ich habe ein Pferd gefunden, was denkst du denn? Ich werde es natürlich mitnehmen.«
    »Man findet Pferde nicht einfach so«, warnte Milo seinen Bruder. »Sie sind nicht wie Pilze, sie gehören immer jemandem.«
    »Das gilt nur für Reittiere über der Erde. Bei den Hühnern hast du es ja auch nicht so genau genommen.«
    »Und wie, bitte schön, willst du es mitnehmen?«, fragte Milo, der der Logik seines Bruders nichts mehr entgegenzusetzen wusste. »An dem Seil werden wir es nicht hochziehen können.«
    Bonne zog eine Grimasse.
    »Was hineingekommen ist, kommt auch wieder heraus, hat Mutter schon immer gesagt.«
    »Da meinte sie aber die Quartelkerne, die du als Baby immer verschluckt hast, und nicht ein ganzes Pferd.«
    »Das nennt man Weisheit, wenn man etwas Gelerntes auf andere Lebensbereiche anwendet, lieber

Weitere Kostenlose Bücher