Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition)
schallendes Gelächter aus.
»Die Waldelfen werden außer sich sein«, gluckste sie und schien dabei eine diebische Freude zu empfinden.
Noch immer verwirrt, folgte ihr Dimdur durch die blubbernde, neblige Moorlandschaft. Er fürchtete sich ein klein wenig, aber mit Raliána als sichere Führerin an seiner Seite bekam er sogar nach und nach ein Auge für die Schönheiten des Moores. Schillernde Libellen kreuzten ihren Weg, fremde Blumen von einem ungewohnten Silberblau blühten hier und dort zwischen den Schilfgräsern, und wenn die Sonne durch den Nebel brach, legte sich ein ganz besonderer Glanz über diese verborgene Welt. Raliána erzählte ihm von den Halblingen, diesem beinahe ausgestorbenen Volk, das abseits von menschlichen, zwergischen oder elfischen Siedlungen lebte. Sie seien Bauern und Viehhirten, die sich kaum um ihre Außenwelt kümmerten, und führten ein zurückgezogenes friedliches Dasein. Nur durch Geschichten von ihrer Großmutter wusste Raliána von ihnen, und als junges Mädchen war sie eine Weile durch die Lande gestreift, um die Völker besser kennenzulernen.
Dimdur fiel es schwer, Raliánas ausgreifenden, federnden Schritten zu folgen, dennoch wollte er keine Schwäche zeigen und eilte auf seinen kurzen Beinen neben ihr her. Er staunte über Raliánas Wissen und darüber, wie viel sie schon von der Welt gesehen hatte. Auf einer Insel mitten im Moor lagerten sie für die Nacht, während Schatten sich drohend über diese eigentümliche Welt legten. Dimdur war nicht ganz wohl zumute, aber die letzten Reste der Opfergaben der Elfen füllten zumindest seinen Magen. »Möchtest du auch etwas?«, erkundigte er sich mit vollem Mund bei der Moorelfe.
»Nein danke.« Sie musterte ihn prüfend, und ein Schmunzeln lag um ihren feinen Mund.
»Was ist?« Dimdur ließ sein angebissenes Käsestück sinken.
»Noch niemals zuvor habe ich jemanden so viel essen sehen!«
»Viel?« Entsetzt sah er auf seinen mageren Vorrat. »Wenn wir nicht bald unsere Vorräte auffüllen, werden wir hungern müssen!«
Auch das brachte die Moorelfe zum Lachen. »Keine Sorge, der Sumpf wird uns ernähren, und sofern wir auf eine Elfensiedlung treffen, kann ich etwas Brot eintauschen.«
Noch war Dimdur skeptisch und begnügte sich daher mit einem winzigen weiteren Bissen des köstlichen Käses, wenngleich er noch immer Hunger verspürte. Dann machte sich Raliána daran, die angeklebten Barthaare von Dimdurs Gesicht zu lösen. Diese Prozedur stellte sich als äußerst schmerzhaft heraus. Nachdem er mehrfach laut aufgeschrien hatte, stellte sich Raliána mit in die Hüften gestützten Händen vor ihn. »Mein lieber Dimdur, die Waldelfen mögen wir abgehängt haben, aber bei solch einem Geschrei kann es sein, dass du sie erneut anlockst, oder am Ende sogar die Geister des Moores.«
»Dann streifen hier tatsächlich Geister umher?« Dimdur riss seine Augen weit auf und spürte, wie ihm kalte Schauer über den Rücken jagten.
»Natürlich«, meinte Raliána ganz gelassen, und als sie weiterhin die Pferdehaare von seinem Gesicht löste, begnügte er sich mit einem leisen Wimmern, wenn es sich gar nicht mehr vermeiden ließ. Nachdem es bald schon völlig dunkel war, hörte Raliána endlich auf, wenngleich noch immer große Teile des falschen Bartes an Dimdur klebten. »Gut, für heute werden uns die Moorgeister in Ruhe lassen.«
»Weshalb?« Leise stöhnend rieb sich Dimdur über sein wundes Gesicht.
»Du hast geheult wie eine Todesfee«, kicherte sie, »niemand wird uns zu nahe kommen. Du kannst beruhigt schlafen, ich halte Wache.«
Mit einem empörten Schnauben legte sich Dimdur auf den Boden. Nur leider war es so, wie er befürchtet hatte – er bekam kein Auge zu. Die fremden Geräusche des Moores, das beständige Glucksen, der Wind, der durch die Binsen strich, und ferne Schreie ließen ihn keine Ruhe finden. Außerdem war da noch Raliána. Stumm saß sie neben ihm, hin und wieder ließ das Mondlicht ihre grünen Augen fahl aufglimmen. Was für ein Wesen war sie? Natürlich hatte sie ihn vor den zornigen Waldelfen gerettet, aber meinte sie es wirklich gut mit ihm? War sie, so wie sie behauptete, eine Moorelfe oder am Ende doch nur ein Geist, der über ihn kommen und ihn ins Moor zerren würde, wenn er erst schlief?
Die schaurigsten Geschichten aus Kindertagen kamen ihm in den Sinn. Man hatte allen Zwergenkindern stets eingebläut, sich vom Moor fernzuhalten, denn dort lauerten ungeahnte Gefahren. Besonders Großtante
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