Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition)
scherzhaft.
»Ich will euch nichts wegessen.« Peinlich berührt reichte Dimdur ihr die restlichen Beeren zurück, aber seine Begleiterin lachte nur.
»Das war ein Scherz, und vermutlich gehört es zur Art der Halblinge, solche Unmengen zu verschlingen.«
Das mochte durchaus sein, aber Dimdur wusste nichts über dieses Volk. Zwerge aßen ebenfalls gerne gut und üppig, zumindest in dieser Hinsicht war er niemals unangenehm aufgefallen.
»Wie bist du nur auf den Gedanken gekommen, der heiligen Stute der Waldelfen ihre prachtvolle Schweifbehaarung zu rauben?«, erkundigte sie sich irgendwann kichernd.
»Ich wusste nicht, dass es eine heilige Stute ist«, rechtfertigte er sich.
»Bei mir brauchst du dich nicht zu entschuldigen«, stellte sie klar. »Ich selbst habe ihnen als kleines Mädchen genügend Streiche gespielt.«
»Ach wirklich?«
»In der Tat«, bestätigte sie, und in ihren grünen Augen blitzte der Schalk. »Meine Eltern haben mich stets gewarnt, mich nicht in die Nähe der Waldelfensiedlung zu wagen, aber natürlich habe ich es dennoch getan.« Sie seufzte tief. »Ein besonders arroganter Elfenjunge hat mich beschimpft, mich wegen meiner grünbraunen Haare verspottet und mir eines Tages mit mehreren seiner Freunde aufgelauert. Sie haben mich an einen Baum gebunden und mit verdorbenem Essen beworfen.«
»Wie gemein!«
»Aber ich habe mich gerächt.« Raliána sah sehr zufrieden aus, als sie fortfuhr. »Den Elfenjungen habe ich eines Tages provoziert und behauptet, er würde sich nicht in den Sumpf trauen, er sei feige. Das konnte er natürlich nicht auf sich sitzen lassen und ist mir allein gefolgt, während seine Freunde auf festem Grund gewartet haben. Nachdem ich ihn weit ins Schilf geführt habe, bin ich verschwunden. Nach kürzester Zeit hat er die Orientierung verloren, und ich habe mir einen Mantel aus Blättern, Algen und Sumpfgras übergeworfen, grausige Geräusche gemacht und ihn als vermeintliches Ungeheuer durch das Moor gejagt.«
Dimdur kicherte, allerdings konnte er sich ausmalen, welche Ängste der Elfenjunge ausgestanden hatte, selbst wenn er es verdient haben mochte. Raliána hingegen amüsierte sich prächtig. »Schließlich ist er auf einen Baum geklettert, hat dort die ganze Nacht zitternd und wimmernd verbracht, und als er im Morgengrauen dann doch hinuntergeklettert ist, habe ich ihn in ein Sumpfloch gestoßen und ihm die Haare mit einer seltenen Pflanzenart eingerieben, deren Saft die Haare färbt und sich erst nach zwanzig Tagen auswaschen lässt. Schmutzig und tropfend, mit grünen Haaren ist er zu seinen Kumpanen zurückgekehrt. Danach hat er sich gehütet, mich noch einmal zu verspotten.«
»Gut so«, freute Dimdur sich und begann, von seiner garstigen Großtante und Bronk, dem alten Erfinder, welchem er die klebrige Masse in seinem Gesicht zu verdanken hatte, zu erzählen. So verging ihre Weiterreise rasch und unterhaltsam.
Bei ihrer nächsten Pause wunderte sich Dimdur, weshalb Raliána ihn so auffällig musterte, auch wenn sie vorgab, damit beschäftigt zu sein, ihre langen Haare durchzukämmen. Nachdem sie einen strammen Marsch hinter sich hatten, freute sich Dimdur auf ein weiteres Stück Käse. Als er in seinem Bündel herumkramte und seine Hand etwas Längliches ertastete, erhellten sich seine Gesichtszüge. Konnte es sein, dass er noch ein Stück geräucherte Wurst von zu Hause gefunden hatte? Sofort holte er die vermeintliche Köstlichkeit heraus, schloss genießerisch die Augen und öffnete sie erst, als er Raliánas unterdrücktes Kichern hörte. Er erstarrte, denn die heißersehnte Räucherwurst zappelte urplötzlich, und auch wenn sie eine bräunliche Farbe hatte, so handelte es sich eindeutig um eine lebende Schlange! Sofort schleuderte er das Reptil weit von sich und bedachte die sichtlich amüsierte Moorelfe mit einem strafenden Blick.
»Das war nicht lustig! Beinahe hätte ich das Ding ungeröstet verspeist.«
»Doch, es war lustig«, gluckste Raliána. »Du hättest dein Gesicht sehen sollen!«
»Dürres Moorgespenst«, brummte er, aber wirklich böse konnte er ihr nicht sein, denn sie warf ihm ein versöhnliches Lächeln zu und reichte ihm sogar ein großes Stück von ihrem Brot. Während des Weitermarsches unterhielt Raliána ihn mit lustigen oder auch gruseligen Geschichten aus dem Moor.
Nach zwei Tagen, an denen sie ihm energisch und mit Schmerzen verbunden seine angeklebten Barthaare entfernt hatte, war sein ganzes Gesicht zwar gerötet, aber
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