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Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Titel: Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
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aber meldete sich Otli zu Wort: »Augenblick mal – wo ist Malangar?«
    Wir sahen uns um. Wir standen nur noch zu viert in dem Tunnel. Eben noch, als der Alb uns angegriffen hatte, waren Otli, Malangar und ich dicht beisammen gewesen. Nach der Ankunft des Zwergs waren wir einen Schritt auseinandergetreten, nur einen, und jetzt war Malangar verschwunden.
    »Er stand gerade noch hinter mir«, sagte Otli. Das Gesicht über dem kurzen weißen Bart rötete sich. »Ich habe ihn bei mir gespürt! «
    Gulbert leuchtete mit dem Stab in alle Seitengänge hinein.
    »Vielleicht ist er nur mal austreten«, sagte Lambanos.
    Gulbert starrte ins Leere. Sein Gesicht schimmerte kränklich bleich im blauen Licht. Mit dem riesigen Blutfleck auf der Brust glich er einem Untoten. »Gehen wir weiter«, sagte er. »Lambanos, zeig uns den Weg, rasch!«
    »Aber wir haben Malangar verloren«, protestierte Otli. »Wir können ihn nicht einfach zurücklassen.«
    »Wir haben schon mehr als einen Gefährten verloren und können nichts mehr für sie tun«, antwortete Gulbert. »Der Wächter dieser Gewölbe wird Malangar geholt haben. Wir müssen uns jetzt selbst schützen – und das erlangen, weswegen wir gekommen sind. Lambanos, voran!«
    Der Zwerg stapfte entschlossen los, sein breiter Rücken verschwand fast aus dem Lichtkreis. Gulbert stieß seinen Stab auf den Boden, und das Licht strahlte heller. Er ging am Ende unserer Schar, sodass Zwerg und Zauberer uns kleine Leute schützend in die Mitte nahmen. Otli wollte erst nicht gehen, aber Gulbert schob den alten Fährtenleser vor sich her, zu mir herüber. Ich übernahm ihn und führte ihn am Arm mit mir, bis Otli sich schroff aus meinem Griff befreite und allein weiterging. »Woher will der Zauberer wissen, dass Malangar nicht zu retten ist?«, brummelte er vor sich hin. »Er hat doch nicht einmal gespürt, das er verschwunden ist.«
    Unter der Führung des Zwergs wanderten wir ganz anders durch die finsteren Gänge von Leuchmadans Hort als zuvor mit Gulbert und Maneas. Lambanos zögerte niemals. Er stapfte voran, unbeirrbar und ohne zu überlegen. Seine Eisenstiefel klackerten auf dem Steinboden wie die Hufe eines sehr schweren Gauls. Manchmal grunzte er kurz, wenn er an einer Abzweigung abrupt die Richtung wechselte, das war alles. Es schien so, als wäre er den Weg schon tausendmal gegangen, und Otli und ich hatten Mühe, ihm zu folgen.
    Bald stolperten wir mehr, als dass wir rannten, und atmeten schwer, doch stets war Gulbert hinter uns mit seinem leuchtenden Stab und trieb uns voran. Dabei sah der alte Zauberer sich immer wieder misstrauisch um, hielt den Stab in Seitengänge und blieb jeden Augenblick wachsam. Er murmelte. »Es war meine Schuld. Ich hätte den Wächter töten sollen, als die Zeit dazu war. Warum habe ich die Elfen aufgehalten? Und warum habe ich sie nicht aufgehalten, als sie den Überfall auf die Nachtalben geplant haben? War nicht dieses Blutvergießen der Beginn unseres Unglücks? Hätte ich es verhindert, wäre der Alb uns nicht gefolgt und hätte den Wächter nicht gerufen. Ich habe beide Male die falsche Entscheidung getroffen!«
    Ich wusste nicht, ob Gulbert Selbstgespräche führte oder mit uns redete, ob es eine Art Entschuldigung sein sollte für den Verlust unserer Gefährten.
    Lambanos bewegte sich schnell und sicher durch die Gänge, aber trotzdem bekam ich das Gefühl, dass er uns im Kreis führte. Die Tunnel setzten sich endlos fort, und immer wieder kamen wir an Einmündungen vorüber und durch Kammern, die mir vertraut vorkamen. Aber sah nicht alles gleich aus in diesen verfluchten Gewölben? Mir taten die Füße weh vom Gehen auf dem harten Steinboden.
    »Wenn wir unser Ziel erreichen und Leuchmadans Herz finden«, sagte Otli neben mir, »wie bringen wir es dann zurück? Können wir all diese Gänge ein zweites Mal durchwandern, vorbei an diesem Wächter?«
    Ich wollte Otli antworten, da sah ich seitlich von ihm ein blaues Leuchten. Es schimmerte blass aus einem schmalen Spalt; es schien zu erzittern und heller zu werden … Ich blinzelte und wollte Otli darauf hinweisen, als das Licht mit einem Mal aus dem Spalt herausquoll, ein Bündel flirrender blauer Funken, die umeinanderwirbelten, aufblitzten und verschwanden. Zwischen den Funken pulsierte eine tiefe Dunkelheit, die Gulberts Zauberlicht nicht durchdringen konnte.
    »Da!«, rief ich.
    Die Schatten entrollten sich zu Bändern, an denen die blauen Lichtpunkte hafteten wie gefesselte Glühwürmchen.

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