Große Kinder
Vergaser auseinandernehmen, in der Tischlerei hobeln und fugen ...
Im Osten konnte übrigens jedermann sich mit jedem Handwerk zurechtfinden; ein bißchen mauern, tischlern, klempnern konnte jeder auf dem Lande. Ein bei uns besonders beliebter Handwerker war der Tischler, Meister Klein. Bei ihm lernten die Brüder sachgemäß mit Holz umzugehen, am Schluß konnten sie sogar Fenster anfertigen.
(Dönhoff, S. 85)
Diese selbst gewählten »Lehrmeister« waren häufig für die Kinder ganz persönliche Vertrauenspersonen, von denen sie sich beraten ließen, bei denen sie ihre Sorgen abladen konnten und denen sie ihre Schandtaten beichten durften, ohne Gefahr zu laufen, bei den Eltern oder Lehrern »verpetzt« zu werden. Sich persönliche Vertrauenspersonen zu schaffen, ist ein wichtiger Entwicklungsschritt, der vielen Kindern heute fehlt. Kinder bleiben heutzutage auf ihren seelischen Nöten so langesitzen, bis ihre Verhaltensauffälligkeiten so unerträglich sind, dass Therapeuten eingeschaltet werden müssen.
Wirkliche Beziehungen können Kinder unserer Kultur fast nur noch zu Erwachsenen aufnehmen, die sich beruflich mit Kindern beschäftigen. Das verwöhnt und verdirbt zugleich. Und vor allem macht es unsicher: In unserer Welt müssen Erwachsene, die keinen pädagogischen Auftrag haben, Kindern als Menschen erscheinen, die nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen angesprochen werden dürfen: Die Verkäuferin kann man nach T-Shirts fragen, den Arzt nach dem richtigen Medikament, der Handwerker kommt zwar ins Haus, aber nach getaner Arbeit verschwindet er als ebenso unbekannter Mensch wieder, wie er gekommen war.
Ich verstehe sehr gut, dass solche Kinder später Angst vor Fremden haben. Und ich verstehe, dass sich solche Kinder später in einer Ausbildungswerkstatt als Fremdlinge fühlen, »ohne Bock« herumstehen, sich anstellen, als hätten sie zwei linke Hände, und nur an ihren Feierabend denken.
Über Fernsehschirm und Zeitschriften pflegen moderne Kinder einen innigen, aber abstrakten »Kontakt« zu den für sie so wichtigen Menschen der »vierten Kategorie«, zu ihren Idolen. Anders als bei Jugendlichen, die ihre großen Vorbilder brauchen, um sich an ihnen zu orientieren, sind Idole für Kinder ab etwa 9, 10 Jahren hauptsächlich fürs Gefühl da. Obwohl sie unerreichbar fern stehen, fühlen sich die Kinder ihren Idolen seelisch eng verbunden.
Oft behaupten Erwachsene, dass Kinder heute viel eher anfangen, für Stars zu schwärmen, als früher. Das täuscht. Zwei Beispiele:
Janina David war 1940 10 Jahre alt:
Zu meiner großen Freude stellte sich heraus, daß Simon ein Film-Fan war, in Besitz von einer eindrucksvollen Sammlung von Filmmagazinen, die bis zu den Tagen des Stummfilms zurückgingen. Ich hatte ihn bald soweit, daß er mir erlaubte, seine Schätze anzusehen, und ich stürzte mich auf die Stars – Gloria Swanson, Pola Negri, Norma Schaerer, Garbo, Valentino, Navarro, Gable ..., die herrlichen Toiletten, märchenhaften Parties, der ganze Flitterglanz dieser Halbgötter, von deren realer Existenz ich eigentlich nie vollkommen überzeugt war, und deren Namen ich nie richtig aussprechen konnte.
(David, S. 146)
Bertha von Suttner erlebte 1854 im Prinzip dasselbe, vielleicht nur etwas »altmodischer«:
Ich war an meinem elften Geburtstag zum erstenmal ins Theater geführt worden ... Nein, dieser George Brown ... Denn etwas Hinreißenderes als diesen Sänger – ich weiß sogar noch seinen Namen – Theodor Formes, der Eindruck muß also tief gewesen sein –, etwas Ritterlicheres hatte ich mir nie träumen lassen. So mußte der mir bestimmte Prinz aussehen ...
(Suttner, S. 15 f.)
Wir Erwachsenen erinnern uns offenbar eher an unsere Schwärmereien im Jugendalter und vergessen, dass es davor schon eine Zeit gab, in der wir für einen Star des Sports, der Bühne, der Leinwand, der Musik oder der Highsociety Feuer und Flamme waren: Zwischen Franz Beckenbauer und Lars Ricken, Marlene Dietrich und Madonna, Jean-Paul Belmondo und Leonardo DiCaprio, den Beatles und den Spice Girls, Grace Kelly und Lady Di liegen Generationen von immer wieder neuen Stars, die schon Kinder zwischen 9 und 12 Jahrenin ihren Bann ziehen. (Erinnern Sie sich, für wen Sie und Ihre Klassenkameraden in diesem Alter geschwärmt haben?)
Die Begeisterung für die Stars hängt wohl damit zusammen, dass sich ab etwa 8 Jahren nach und nach eine vollkommen neue
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