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Große Kinder

Große Kinder

Titel: Große Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oggi Enderlein
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untereinander.
    Dazu drei Erinnerungen von Max Kruse, der damals ungefähr 8 bis 10   Jahre alt war:
     
    Das Unheimliche: Meine Entdeckungsreisen im schwärzesten Berlin machte ich mit Schusters. Bei Dunkelwerden zogen wir dann los, die langen geraden spärlich erleuchteten Straßen entlang. Um mich in die richtige Graulstimmung zu bringen, ging’s zuerst zum großen Krankenhaus gegenüber dem kürzlich erst erbauten Bethanien. Nachdem wir uns ein bißchen angegrault hatten an den ab und zu fahrenden Wagen, unter denen natürlich auch manchmal Leichenwagen waren, gingen wir zu einem entlegenen kleineren Pavillon, wahrscheinlich war es eine Waschküche, denn der Schornstein rauchte oft. Für uns war er der Inbegriff des Unheimlichen; wenn Rauch zu sehen war, sagten die Jungens: »Da kochen sie wieder eine Leiche aus, dat Fett verkofen se denn« und das sagten sie mit Gesichtern und Gesten, daß einen schudderte. Nun faßte man
sich fester unter, steckte die Köpfe dicht zusammen und zog in den entlegendsten Straßen und Winkeln umher, immer tollere Geschichten erzählend, bis man schließlich vor Angst zu rennen anfing, weil man meinte, die ausgekochten Leichen kämen hinter einem her. Schweißgebadet kam ich dann nach Hause.
    Die Gefühle des Glücks und der Dankbarkeit, wenn ich wieder in die behaglichen hellen Räume unserer Wohnung kam und sich allmählich das Bewußtsein einstellte, daß ich in Sicherheit war, lassen sich im späteren Alter kaum nachfühlen.
(Kruse, S.   16   ff.)
    Das Gefährliche:
Das gefährlichste Wagestück, das wir uns ausgedacht hatten, war wohl das: an der Brandmauer unseres vierstöckigen Vorderhauses in die Höhe zu klettern   ... Das Schlimmste war aber, daß die Steine zum Teil morsch waren und daß diese so schmale Klettermöglichkeit an der Ecke des Hauses lag.   – Nun war in der Höhe der ersten Etage ein Büschel Gras in einer Ritze gewachsen und dieses zu erreichen war unser höchster Ehrgeiz. So einen Grashalm von dort oben zu haben, war für uns Jungens so viel wie für die Alten der Orden »Pour le mérite«. Der Aufstieg ging verhältnismäßig noch leicht, die Katastrophe trat ein, wenn beim Herabklettern der Fuß einen bröckligen Stein traf   – und keinen genügenden Halt fassen konnte, und die Kraft nicht langte, die übernächste Stufe mit dem Fuß zu erreichen.   – Dann klebte man da oben in seiner Todesangst wie die Fliege an der Wand und die einzige Hoffnung war, daß einer aus der inzwischen unten angesammelten Menge auf die Idee kam, die Feuerwehr zu holen   ...
(Kruse, S.   44   ff.)
     
    Heute brechen sich die Menschen vorwiegend im Erwachsenenalter beim Sport und mit risikovollem Autofahren die Knochen. Ob das besser ist   ...?
    Die schlimmste Geschichte, der Kampf:
Ein anderes Hauptfest für uns Jungen war die Keilerei auf dem Köpenickerfelde   ...
    Zu der ersten dieser Keilereien hatte ich mich mit meinem Ritterhelm aus Blech und Schwert und Schild ausstaffiert, ich dachte wohl, daß es ein Spiel wäre, wie es unter uns Berlinern üblich war, mehr eine Art Manöver. Aber mein Aufzug erregte die Wut der Gegner derartig, daß alles auf mich zustürzte und ich unter den Knüppelhieben bei ohrenbetäubendem Gebrüll sehr bald blutüberströmt vom Kampfplatz getragen werden mußte. Mein schöner Ritterhelm war nichts mehr als eine unförmige Masse und die scharfen Blechränder hatten mir die Kopfhaut gründlich zerschnitten. Das nächst Mal zog ich mir einen alten Rock an und nahm einen festen Knüppel mit und hieb wie ein Berserker um mich und kehrte als Sieger heim, denn ich war ein kiebiger Junge.
(Kruse, S.   58)
     
    Die Frau und Mutter in mir erhebt energischen Einspruch gegen dieses Zitat: Es könnte den Anschein erwecken, ich würde Gewalt unter Kindern verherrlichen. Auch mich ängstigt und besorgt Gewalt unter Kindern, vor allem, wenn sie so abläuft, wie es Max Kruse hier schildert   – so drastisch muss es wirklich nicht zugehen! Dass Mütter bei solchen Schilderungen gelassen bleiben, wäre unnatürlich   – und damit rechnen die Jungs ja auch, sonst bräuchten sie ihre Kämpfe vor den Eltern nicht zu verheimlichen.
    Der stolze Unterton, die strahlenden Augen, mit denen Männer aller Zeiten und Kulturen von derartigen gefährlichverwegenen Auseinandersetzungen aus ihrer Kindheit berichten, darf aber auch nicht übersehen werden. Offenbar ist nämlich etwas anderes als die Beule, der blaue Fleck, sogar die blutenden

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