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Große Kinder

Große Kinder

Titel: Große Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oggi Enderlein
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Schnittwunden am Kopf an solchen Episoden erinnernswert:die Tatsache, dass bei diesen Kämpfen die eigene Angst kurz und klein geschlagen wurde!
    Mit 15   Jahren geht das nicht mehr. Da kann man nur noch andere kurz und klein schlagen und die eigene Angst im Schutz der Schlägerbande, in die man sich geflüchtet hat, verstecken und mit Alkohol oder Drogen betäuben. Skins geben zu, dass sie panische Angst davor haben, beispielsweise von »Türkengangs« angegriffen zu werden. Jugendliche Gewalttäter berichten auch, dass ein kurzfristiges Hochgefühl von Stärke und Wichtigkeit aufkommt, wenn sie jemanden niedergeschlagen haben. Dieses Gefühl weicht aber schnell wieder dem überdauernden Grundgefühl von Ohnmacht, Furcht und Lebensangst. Natürlich wäre es zu einfach, die Ursachen jugendlicher Gewalttätigkeit allein darin zu suchen, dass im richtigen Alter die richtigen Erfahrungen im Umgang mit der eigenen Angst ausgeblieben sind. Dennoch mag es ein bislang zu wenig beachteter Mosaikstein sein.
    Auch eine andere seelische Zivilisationskrankheit hat meines Erachtens damit zu tun hat, dass Menschen in ihrer Kindheit nicht genügend Gelegenheit hatten, im selbst bestimmten Spiel ihre Angst kennen und vor allem bewältigen zu lernen: Ich meine hier die scheinbar unbegründet auftauchenden Angstzuständen, die Phobien, die einen erwachsenen Menschen fast lebensunfähig machen können.
    Der Umgang mit der eigenen Angst braucht zuweilen vielleicht einen ausreichend starken, ausreichend bedrohlichen Gegner. Waffen, echte zumal, stehen dem Kennenlernen der eigenen Kraft, des eigenen Mutes und der Überwindung von eigener Angst aber mit Sicherheit im Weg. Das zu wissen, ist für uns Erwachsene wichtig, denn wenn sich Jungen auf dem Schulhof balgen, mag das von außen gefährlich aussehen. Es ist aber allemal besser, Ringkämpfe zuzulassen (mit festen Regeln,um Verletzungen zu vermeiden) als mit Kindern konfrontiert zu werden, die sich aus Angst und Unsicherheit bewaffnen und sich gegenseitig mit stehenden Messern und anderen, wirklich gefährlichen Waffen bedrohen.
    Andererseits: Erinnerungen von Männern, die bei den nationalsozialistischen Pimpfen oder in anderen militanten Jugendorganisationen zu »harten Männern« erzogen werden sollten, zeigen, wie grausam es für Kinder sein kann, wenn sie von Erwachsenen angehalten werden, gegeneinander zu »kämpfen«, um ihre Angst zu überwinden. Hier wird ganz deutlich: Es sind tatsächlich zwei ganz unterschiedliche Welten, die Welt der Kinder und die der Erwachsenen: Was gleich scheint, ist doch etwas vollkommen anderes! Kinder nehmen das offenbar feinfühliger und deutlicher wahr als Erwachsene.
    Was noch dazukommt: Kinder in unserer Gesellschaft leben ihre eigenen Phantasien und Gefühle immer weniger im Spiel aus. In Büchern, Comics, Filmen und Computerspielen begegnen sie stattdessen der Phantasie von meist erwachsenen Autoren.
    Früher waren Kinder, die »nur« gelesen haben, schlechter dran mit ihren Lebenserfahrungen, als Kinder, die sich mit anderen, »wer weiß wo« herumgetrieben und ihre Abenteuer erlebt haben. Heute scheinen die Kinder, die wenigstens noch lesen, die besseren seelischen Startbedingungen ins Erwachsenenleben zu haben.
    Denn die Kinder unserer Zeit und Kultur wachsen zunehmend mit Computerspielen auf. Die meisten dieser Spiele sprechen mit psychologischer Zielgenauigkeit tatsächlich auch die alterstypische Abenteuerlust der Kids und die entsprechenden Gefühle an: die Spannung, ob es gelingen wird, den skrupellosen Feind zu besiegen und die »lebensgefährliche« Aufgabe zu meistern, oder ob man am Ende doch unterliegen wird. Mit im Spiel sind Gefühle wie Ehrgeiz, hoffnungsvolle Erwartung,Stolz, Freude, Triumph und Enttäuschung, Ärger, Bangen, auch Häme. Frei entfalten können sich innerhalb solcher Spielschablonen aber weder Phantasie noch Gefühle.
    In einem Videospiel   – Kategorie »friedfertig«   – muss beispielsweise ein Männchen einen Schatz vor Verfolgern in Sicherheit bringen. Das Kind lenkt das Männchen an unerwarteten Hindernissen vorbei und kommt schließlich an einen breiten Graben, der übersprungen werden muss. Das Kind steuert mit seinen beiden Daumen auf Knöpfchen drückend oder den Joystick führend das Männchen mit einem großen, genau platzierten Satz über den Graben   – geschafft   – und weiter geht die Jagd   ... Das erleichterte, stolze Gefühl, den Graben erfolgreich überwunden zu haben (ein Leben

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