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Große Kinder

Große Kinder

Titel: Große Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oggi Enderlein
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Lebenswelt, die nun auf dieselbe Weise wieder entdeckt, erobert, abgegrenzt, erschlossen, ausgefüllt, durchbrochen wird   ...
     
    Im Entwicklungsprozess scheint jeder dieser Schritte verknüpft zu sein mit charakteristischen unbewussten Lebenseinstellungen, Gefühlen und Verhaltensweisen, die sich in den verschiedenen Entwicklungsphasen jeweils auf einer höheren, breiteren, differenzierteren Ebene wiederholen. Die Altersangaben sind dabei immer nur grobe Anhaltspunkte:
     
In den neuen Lebensraum eintreten, ihn entdecken (im Alter von etwa 1 ½, 7, 14   Jahren):
»Wo befinde ich mich?« »Die Welt steht mir zur freien Verfügung.«
Aufgeschlossenheit, Offenheit, Gefühl der Unbegrenztheit, positive Aufbruchstimmung.
Den neuen Lebensraum erobern und seine Grenzen ausprobieren (im Alter von ca. 2 ½, 8   /   9, 15   /   16   Jahren):
»Wo sind die Grenzen?« »Welche Regeln und Gesetze gibt es hier?« »Wo finde ich Halt?« »Bin ich in der Lage, das Leben in dieser neuen Welt zu meistern?« Drang zu expansivem Verhalten, Missachten aller Regeln, chaotisches Hin und Her, die eigenen Grenzen nicht kennen, Überschätzen der eigenen Fähigkeiten, Maßlosigkeit, Strukturlosigkeit, Desorientierung und existenzielle Ängste.
Den neuen Lebensraum strukturieren, hineinwachsen, ihn »besiedeln« (im Alter von ca. 3   /   4, 10   /   11, bei natürlichen Entwicklungsgegebenheiten ab etwa 17   Jahren):
»Ich finde meinen Platz.« »Ich weiß, wo ich stehe, wohin ich gehöre.« Weitgehende Anerkennung der Grenzen, Ausschöpfen aller Möglichkeiten innerhalb der Lebenswelt, Motivation weiterzukommen, Sicherheit, Zufriedenheit.
Souverän mit den Möglichkeiten der Lebenswelt umgehen, die Lebenswelt beherrschen (im Alter von ca. 5, 12, 19   Jahren):
»Ich beherrsche die Welt.« »Ich bin aus eigener Kraft lebensfähig.« Spielen auf der Klaviatur der Fähigkeiten, Kompetenz, Lebensenergie, Eigeninitiative. Geistig haben sich bereits neue Horizonte eröffnet, die den nächsten Schritt ermöglichen:
An die Grenzen stoßen, gegen sie aufbegehren und Grenzen durchbrechen (gegen Ende des ersten Lebensjahres, mit etwa 6, 13, Anfang bis Mitte 20):
»Mir wird’s zu eng!« »Ich weiß es besser!«
Sich in der eigenen Haut beengt fühlen, mit dem Kopf durch die Wand gehen, Auseinandersetzungen mit der Autorität suchen, Übertreten aller Regeln und Normen, unbändiger Freiheits- und Unabhängigkeitsdrang, zu viel Kraft haben, Unausgeglichenheit, innere Unruhe, Aufbruch zu neuen Ufern.
     
    Bei jedem seelisch gesunden Kind gibt es diesen Wechsel zwischen Erkunden, Grenzen-Ausprobieren, Mit-sich-und-der-Welt-zufrieden-Sein und Grenzen-durchbrechen-Müssen. Allerdings sind manche Kinder darin aktiver als andere, die eher in einer Beobachterrolle bleiben, aber dennoch innerlich die Veränderungen der Altersgenossen mitmachen.
    Wenn Erwachsenen bewusst wäre, dass dieser Wechsel ganz natürlich und notwendig ist, dann würden sie sich die ruhigen, »angenehmen« Phasen nicht immer als Erziehungserfolg zuschreiben, um bei der nächsten schwierigen Phase aus allen Wolken zu fallen. Die schwierigen Zeiten könnten sie wiederum als natürliche Entwicklungsprozesse, als ganz normale, sogar notwendige
Verhaltens auffälligkeiten
und nicht gleich als alarmierende Verhaltens
störungen
verstehen und annehmen und mit den Kindern beziehungsweise Jugendlichen entsprechend umgehen.
    Das betrifft vor allem den Umgang mit Grenzen, der den meisten Eltern, Erziehern und Lehrern ungeheuere Schwierigkeiten und Gewissensnöte bereitet. Wenn man weiß, dass Grenzerfahrungen zwei ganz unterschiedliche Bedürfnisse zugrunde liegen, kann man als Erwachsener auch entsprechend handeln: In Zeiten des »kopflosen« Grenzen-Suchens (bei Acht- und Neunjährigen zum Beispiel) wird man ohne schlechtes Gewissen Halt geben und unverrückbare Grenzen setzen können, in Zeiten des An-die-Grenzen-Stoßens   – weil sie zueng geworden sind   – (bei etwa Dreizehnjährigen zum Beispiel) dagegen wird man zuversichtlich eher Grenzen öffnen und mehr, aber nicht grenzenlos alles zulassen können.
    Eltern, Erzieher, Lehrer und Berater, die wissen, was natürliche, alterstypische Verhaltensschwierigkeiten sind, werden auch differenzierter mit echten Entwicklungsproblemen umgehen können und Kinder, die auf ihre Weise Hilferufe senden, eher verstehen und ihnen kompetenter helfen können.
     
    Um die natürlichen Lebensbedürfnisse und die entsprechenden

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