Große Kinder
Orientierungslosigkeit und Gereiztheit ihres Kindes mit hineinziehen. Nichts aber bräuchte das Kind so sehr wie Eltern, die sich nicht aus der Fassung bringen lassen, die bereit sind, sich mit dem Kind aus einer sicheren Position heraus auseinander zu setzen, ohne es zu unterdrücken oder gegen das Kind anzustreiten. Denn das Kind versucht im Innersten nur, eine neue Ordnung, eine neue Orientierung in die Welt zu bekommen. Und dazu gehört auch, den Eltern neu,auf einer anderen Ebene (die allerdings noch nicht die gleiche Ebene ist!), zu begegnen.
Die Kinder wollen jetzt vor allem von ihren Eltern erleben und lernen, was es bedeutet, »Farbe zu bekennen«.
So hätte Steffens Mutter aus dem Beispiel von oben nicht ganz Unrecht, wenn sie ihren Mann dazu ermuntern könnte, gerade jetzt mit dem Rauchen aufzuhören: Acht-, Neunjährige sind außerordentlich empfänglich für »Selbsterziehungsvorbilder« ihrer Eltern. Beim Rauchen wird dies besonders deutlich: Kinder von Eltern, die rauchen, werden in der Pubertät zu einem Großteil selbst Raucher – und greifen später auch leichter zu Haschisch und Marihuana als Kinder von Eltern, die nicht oder nicht mehr rauchen. Wenn ein Kind mit 8, 9 Jahren erlebt, dass Vater oder Mutter mit dem Rauchen aufhören (können), wird die Achtung für sie steigen und das Gefühl gefestigt, sich an ihnen orientieren zu können. Auf jeden Fall ist es für ein acht-, neunjähriges Kind eine fabelhafte drogenvorbeugende Erfahrung, wenn es erlebt, dass Vater oder Mutter in der Lage sind, eine feste Gewohnheit, die ungesund, störend und überhaupt ganz unvernünftig ist, abzulegen.
Andererseits müssen Eltern sich ihren Acht-, Neunjährigen nicht unterordnen, sondern ihnen auch selbstbewusst vorleben, dass es trotz aller Regeln, Vorschriften, Mahnungen, Warnungen und Vorbehalte noch persönliche, individuelle Freiheiten und Genüsse – und auch wohldosierte Grenzübertritte – gibt, die vielleicht nicht immer erlaubt oder gesund sind, die aber durchaus ihre Berechtigung haben. (Das Buch
Danny oder die Fasanenjagd
von Roald Dahl bringt dieses Thema für Neunjährige maßgeschneidert auf den Punkt.)
Auch im Umgang mit den Erwachsenen wird eben deutlich,dass Kinder mit acht, neun Jahren die Welt auf einmal mit anderen Augen sehen und sich neu zurechtfinden müssen.
Lehrer, erwachsene Bezugspersonen außerhalb des Elternhauses, werden jetzt zu wichtigen, geachteten, geliebten Autoritäten. Was die geliebte Lehrerin sagt, das stimmt. Ohne Wenn und Aber. Lehrer, die unsicher sind und humorlos, die das Verhalten der Kinder nicht verstehen und nur daran denken, die Kinder »zurechterziehen« zu müssen, die sich also innerlich nicht auf die Ebene der Kinder begeben können, ohne das innere Gleichgewicht zu verlieren, werden schnell und mit sicherem Gespür als unbrauchbare seelische Stützpfeiler ausgemustert.
Wie oft wird an unseren Schulen von Kindern unausgesprochen erwartet, dass sie Verständnis für die – schwachen – Lehrer haben müssten. Man muss sich diesen Unsinn gelegentlich vor Augen halten, um überhaupt zu begreifen, was Kindern da angetan wird. Sie haben Anspruch darauf, von Erwachsenen gestützt und verstanden zu werden, nicht umgekehrt! Ganz unbemerkt verkehren sich so oft die Welten.
Unanständiges
Im Grunde stellen Kinder, die Grenzen suchen, immer auch die Frage an sich und die Erwachsenen: Was gehört in meinen, was in euren Lebens- und Zuständigkeitsbereich? Oder: Worin unterscheiden wir uns eigentlich, ihr Erwachsenen und wir Kinder?
Es gibt einen einfachen, eindeutigen und unbestreitbaren Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen: Die einen sind geschlechtsreif und die anderen nicht. Tiefe Stimme, Bartwuchs, Busen, Babybauch: Diese Unterschiede kann man hören und sehen.
Geschlechtlichkeit ist folglich das Thema, mit dem sich Jungen und Mädchen im Alter von 8, 9 Jahren intensiv, aberauf ihre eigene Art beschäftigen: So »heimlich«, dass es nicht zu überhören und zu übersehen ist, werden unanständige Witze erzählt und die Bedeutung einschlägiger Wörter, obszöner Handzeichen und entsprechender Zeichnungen untereinander weitergegeben – und sehr oft wohl dennoch nicht richtig verstanden. Bei Jungen geschieht dies in der Regel lauter, bei Mädchen meistens versteckter.
Fünfjährige probieren die Wirkung unanständiger Wörter (die sie oft gar nicht verstehen) aus, indem sie sie laut in die Welt posaunen. Acht-,
Weitere Kostenlose Bücher