Große Kinder
stark und die Erlaubnis endlich erbeten ...
(Kurz, zit. nach Rutschky, S. 565)
Oder Roberto, in einem Armenviertel in Mexiko-Stadt aufgewachsen:
Als ich etwa elf Jahre alt war ... lief ich zum erstenmal von zu Hause fort. Ich fuhr nach Veracruz. Außer den Kleidern, die ich auf dem Leib trug, hatte ich nichts mit ...
Der Hauptgrund, warum ich ausrückte, war, daß meine Kameraden mir von ihren Abenteuern erzählt hatten. So etwas wollte ich nun selber erleben ...
Auf der Landstraße war ich sorglos und glücklich. Um das Essen habe ich mir nie Sorgen gemacht. Nichts war leichter, als in irgendeine Hütte zu gehen und die Leute um Arbeit für einen Happen Essen zu bitten. Sie hatten immer etwas zu tun für mich: Wasser holen, Holz spalten oder so etwas, und dann bekam ich zu essen ...
(Es folgt die Schilderung, wie er nach Veracruz kommt und sich dort mit allen möglichen Arbeiten sein Essen verdient.)
So vergingen drei Monate, und dann hatte ich plötzlich Lust, nach Hause zu fahren. An meine Familie hatte ich nur selten gedacht, aber wenn, dann war mir, als müßte ich auf der Stelle zurückkehren ...
(Roberto in: Lewis, S. 92 ff.)
Pedro, heute etwa 40 Jahre alt, war jüngstes von zehn Geschwistern und ist in einer kleinen kolumbianischen Stadt aufgewachsen. Er war in seiner Familie gut versorgt und ging zur Schule. Als er 12 war, beschloss er, dass er eine bessere Schulbildung brauche. Er ging allein in die Großstadt, suchte sich dort eine Familie, die ihn in Untermiete aufnahm und verpflegte. Er verdiente nebenher Geld, indem er einem Buchhalter bei der Buchführung half. Mit 17 schloss er die Schule ab, studierte und heute ist er Finanzberater in zwei großen Firmen.
Solche Beispiele von Zwölfjährigen könnte ich zuhauf anführen. Auch in Deutschland gibt es Zwölfjährige, die sich »selbständig« machen wollen, die sich stark fühlen, für sich selbst zu sorgen, und wenigstens eine kurze Zeit lang ausprobieren möchten, wie es sich anfühlt, auf eigenen Füßen zu stehen. Nur ist das für sie in unserer Kultur schlicht und einfach verboten: Wenn sie es doch tun wollen, bleibt diesen Kindern bei uns nichts anderes übrig, als in die Illegalität zu gehen. Wer sich der Schulpflicht – und sei es nur vorübergehend – ohne eine »besondere erzieherische Befürwortung« von »verantwortlichen Erwachsenen« entziehen will, wird bei uns im wörtlichen Sinn auf die Straße gejagt, in den Untergrund, in die Obdachlosigkeit. Und es gibt – leider! – immer mehr Kinder, die diesen Weg nehmen.
Trotz ihrer oft erstaunlichen Lebens- und Überlebenskräfte darf man sich aber nicht täuschen: Zwölfjährige sind noch nicht erwachsen! Zu allen Zeiten und in allen Kulturen waren und sind sich Menschen, die ein Gespür für die Entwicklung von Kindern haben, darin einig, dass Zwölfjährige doch noch Kinder sind. Nur in unserer modernen Welt wird so getan, als hätten sich die Zeiten so grundlegend verändert, dass damit auch die Entwicklung der Kinder aus den Angeln gehoben worden wäre. Einerseits werden die Kinder bei uns künstlich »klein« gehalten und in ihrem Tatendrang und ihrem Bedürfnis nach Selbständigkeit ausgebremst. Andererseits werden Kinder mit 12 Jahren wie Erwachsene behandelt. Immer lauter werden die Stimmen, die ihnen sogar juristisch das Recht absprechen wollen, Kind zu sein.
Aber Zwölfjährige empfinden sich im Kern selbst noch als Kind, sogar wenn sie wie Erwachsene leben müssen: Der zwölfjährige Pulga leitete zum Beispiel eine Gruppe von Straßenkindern zwischen 7 und 14 Jahren in Bogotá. Er musstealso nicht nur für sein eigenes Leben sorgen wie ein Erwachsener, sondern er war darüber hinaus auch für das ständig akut bedrohte Leben seiner Freunde verantwortlich. Das ist ganz schön viel »Erwachsensein« auf einmal!
Seine Geschichte kenne ich aus dem Buch
Die Straßenkinder von Bogotá
der Forscherin und Autorin Dolly Conto de Knoll, die einen sehr engen Kontakt zu diesen Kindern aufbauen konnte. In diesem Buch steht über diesen scheinbar so »erwachsenen« Zwölfjährigen aber auch:
Pulga hatte viele Wünsche, die aber meist Träume blieben. Einer war, auch einmal Spielzeug zu besitzen. Trotz seiner Position in der Gruppe hätte er gerne Spielzeug gehabt. Damit bewies er, daß er seine Kindheit noch keineswegs abgeschlossen hatte.
(Conto de Knoll, S. 33)
Früher mussten auch in Mitteleuropa viele
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