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Große Kinder

Große Kinder

Titel: Große Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oggi Enderlein
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Zwölfjährige wie Erwachsene arbeiten. Wie sie sich dabei fühlten, geht aus der Erinnerung einer deutschen Frau hervor, die mit 12   Jahren »in Stellung« gehen musste:
     
    Ich sollte ihre Magd vorstellen, und ein Alter von zwölf Jahren gab mir nicht Kräfte genug. Wasser schöpfen und mit einem Schiebkarren Getreide zur Mühle hinauffahren war meine tägliche Arbeit   ... Ich ergriff eine gute Gelegenheit und entschloß mich zur Reise, um in dem Hause meiner Mutter gesättigt zu werden   ... Wenige Wochen nach diesem Tage gab meine Mutter ihrem Mann das dritte Kind und ich hatte wieder meinen Posten bei der Wiege!
(Karsch, zit. nach Rutschky, S.   200   f.)
     
    Daran, dass auch die Mädchen mit 12   Jahren noch nicht wirklich erwachsen sind, besteht selbst in den Kulturen keinZweifel, in denen sie in diesem Alter verheiratet oder gar als Prostituierte missbraucht werden. Zwar haben die Mädchen in diesen Kulturen gewiss schon eine andere Rolle als gleichaltrige Mädchen bei uns, aber in rückschauenden Erinnerungen oder in Berichten der Mädchen selbst oder auch in der Einschätzung der Erwachsenen gibt es keinen Zweifel: Erwachsen sind sie nicht!
    Mit 12   Jahren haben die Kinder die Lebenswelt des großen Kindes noch nicht verlassen. Das äußert sich auch darin, dass sie sich immer ein Zuhause suchen, auch wenn sie aus ihrem Elternhaus ausgezogen sind. Und wenn es eine Bande von Straßenkindern ist: Letztlich fühlen sie sich ohne Halt und Geborgenheit doch noch verloren und überfordert.
    Je älter Kinder werden, umso stärker ist der Einfluss der Kultur auf ihr Verhalten und ihre individuellen Bedürfnisse. Und umso problematischer ist es natürlich, bestimmte »alterstypische« Merkmale zu beschreiben. Wenn aber bestimmte Merkmale unabhängig von Kultureinflüssen auftreten, dann muss es sich dabei wohl um menschliche Eigenschaften, vielleicht um urmenschliche Bedürfnisse handeln, die mit der Entwicklung zu einem reifen, ausgeglichenen Erwachsenen zu tun haben.
    Das heißt: Wenn Kinder ihre natürlichen Entwicklungsbedürfnisse nicht genug ausleben können, wird ihrer Persönlichkeit mit zunehmendem Alter eine wichtige Wurzel fehlen und ihre natürliche, gesunde Entwicklung wird zunehmend verkümmern.
    Wenn zum Beispiel Kinder im Alter zwischen 8 und 10   Jahren keine Gelegenheit hatten, selbständig ihre Welt zu erkunden, sich umzuschauen, sich hier und dort auszuprobieren, herauszufinden, was ihnen Spaß macht, sich nachahmenswerte Anregungen auszusuchen, kurz: in Freiheit sich selbst, dieAltersgenossen und die Welt kennen zu lernen, werden sie sich mit 12   Jahren nicht sicher fühlen auf ihren Füßen und in ihrer inneren Entwicklung bereits verarmt sein.
    Es wird ihnen schwer fallen, etwas zu finden, worauf sie sich als Zwölfjährige voller Engagement stürzen können. Sie werden wahrscheinlich eher daran zweifeln, jemals etwas selbständig meistern zu können, und werden mit der inneren Einstellung weiterleben, dass ihr Leben von den Vorgaben und Initiativen anderer bestimmt ist, so wie es von Schuljahr zu Schuljahr, von Stundenplan zu Stundenplan, von Fernsehprogramm zu Fernsehprogramm, von Training zu Training bisher immer gewesen ist. Sie werden dann wohl kaum das Gefühl erleben, lebens-tüchtig geworden zu sein, dieses wundervolle »Zwölfjährigengefühl«: »Ich kam mir 2   Meter groß vor, und unzerstörbar.«
    Kinder, die diese Sicherheit nie gespürt haben, werden sich auch ungeschickter, unsicherer, verkrampfter und aufsässiger verhalten, wenn sie mit etwa 13   Jahren in die nächste Lebenswelt, in die Welt der Jugendlichen aufbrechen wollen.
    Allerdings spielt der wirkliche Durchbruch in die neue Welt der Jugendlichen bei Zwölfjährigen noch keine ernsthafte Rolle   – trotz aller Lebenstüchtigkeit, trotz ihrer erstaunlichen Kompetenz und ihrer Unerschrockenheit. Noch probieren sie mehr aus,
wie es wäre
, wenn sie schon groß wären. Das zeigt sich auch daran, dass sie noch eher »gut zu haben sind« als rebellisch, dass sie eher mit sich im Reinen sind als unausgegoren. Normalerweise scheinen sich Zwölfjährige in ihrer Rolle als großes Kind noch ganz wohl zu fühlen. Aber sie schauen bereits heftig über den Zaun und unverkennbar werden in allen Lebensbereichen neue Horizonte sichtbar.
    Der geistige Bereich
    Mit etwa 12   Jahren werden Menschen zu einem neuen Denken fähig, das jüngeren Kindern noch nicht möglich ist, jedenfalls nicht von sich aus. Mit etwa 12

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