Große Kinder
Lewis, S. 116)
Auch Janina David erinnert sich, als sie etwa 11 ½ Jahre alt war:
Mutter konnte sich lange nicht beruhigen. Sie versuchte, mir zu erklären, was geschehen war, und warum ein solches Benehmen sie verletzte ... Ich wollte sie nicht verstehen. Ich wollte überhaupt nichts hören, was Vaters Bild in meinem Herzen irgendwie ändern könnte ...
Mutter schob mich mit einem Seufzer von sich. »Wirklich, Janie, ich hatte schon gehofft, daß du endlich erwachsen wirst, und daß wir uns endlich wie zwei Frauen unterhalten können. Aber du verstehst ja immer noch gar nichts.«
Sie wandte sich von mir ab, und ich schämte mich fast zu Tode. Ich hatte ihr meine geheimsten Gedanken zu dieser Angelegenheit mitgeteilt, etwas, was ich sonst keinem anderen Menschen gesagt hätte. Aber sie konnte mich nicht verstehen. Vater hätte verstanden, was ich meinte.
(David, S. 286 ff.)
Die Beziehung zu Kindern und Jugendlichen
Zwölfjährige haben eine Mittelstellung zwischen den Kindergenerationen: Für die Jüngeren sind sie die großen, kompetenten, zur Verantwortung fähigen Partner, die bereit sind zu helfen, zu zeigen, voranzugehen. In der Gruppe der Jugendlichen bis etwa 16 Jahre werden sie als Jüngste schon mit in die »Jugendbanden« und Cliquen aufgenommen. Sie sind wie ein Gelenk zwischen den Kindern und Jugendlichen. Auch das macht ihr Selbstverständnis aus, dass sie mit allen gut können und sich überall mit größter Selbstverständlichkeit bewegen.
Karl Jaspers schreibt:
Unserem Haus an der Moltkestraße gegenüber lag ein Gelände aus früheren Gärten mit alten Bäumen ... Dort fanden unsere frühesten Spiele statt, unter Führung meines um sechs Jahre älteren Onkels ... Der bewunderte Onkel, etwa zwölf Jahre alt, errichtete mit unserer unzureichenden Hilfe eine Bude mit mehreren Stockwerken ...
(Jaspers, S. 93)
Und Janina David:
Eine Kinderbande bildete sich in unserem Hof, und ich wurde aufgenommen – eine Ehre, die ich Mutter vergeblich klarzumachen versuchte. Wir waren alle zwischen zwölf und sechzehn ...
(David, S. 309)
Auch in heutigen »Banden« sind dieselben Altersunterschiede zu beobachten wie eh und je: Wo es noch altersübergreifende »Kinderbanden« gibt, finden sich in ihnen meistens Kinder zwischen etwa 7 und 13 Jahren zusammen. Wenn sie etwa zwischen 12 und 14 Jahre alt sind, verlassen die ältesten Mitglieder der Kinderbanden ihre Gruppe und wenden sich den Banden und Gruppen der Älteren zu: Auf der ganzen Welt sind die Mitglieder von Jugendbanden etwa zwischen 12 und 16 Jahre alt. Die »professionellen« Gruppierungen (ob Musikbands, Jugendorchester, offene Sportgruppen, Sprayertrupps, Rechtsradikale oder Einbrecherbanden) rekrutieren sich aus Leuten, die meistens zwischen etwa 15 und 23 Jahren alt sind. Auch für Kinder und Jugendliche galt und gilt offenkundig ein allgemeines »Gesetz«, das Kinder unter 12 den »Kleinen«, Leute ab 12 den »jüngeren« Jugendlichen, aber noch nicht den »älteren« Jugendlichen beziehungsweise jungen Erwachsenen zuordnet.
Auch wenn Zwölfjährige noch keine »richtigen« Jugendlichen sind – selbst wenn sie es selbst so gern wären –, so wachsen und reifen sie natürlich trotzdem.
Zum Beispiel öffnet sich allmählich ein ganz wichtiges neues Feld im Umgang mit Gleichaltrigen, beim einen Kind früher, beim anderen später: Freundschaften bekommen eine neue Farbe.
Das gilt sowohl für Freundschaften und Liebschaften zwischen Jungen und Mädchen (die bei Zwölfjährigen relativ selten offen gezeigt werden) als auch für Freundschaften der Jungen und der Mädchen untereinander: Der andere wird auf einmal als »anderer« wahrgenommen, die Beziehung wird als Echospiel zwischen sich selbst und dem anderen erlebt. Es ist, als werde der Freund langsam vom »Partner an der Seite« zum »Partner gegenüber«: Dort sieht man ihn bewusster, nimmt ihn als ganzen Menschen wahr, als Person, die sich von einem selbst unterscheidet, mit der man sich auseinander setzen, Gemeinsames und Unterschiedliches entdecken kann. (Den Menschen neben sich spürt man mehr, als dass man ihn sieht, er ist Teil der eigenen, ganz persönlichen Welt, aber man begegnet ihm nicht.) Miteinander reden und Probleme wälzen wird unter Freunden, besonders aber unter Freundinnen, zunehmend wichtiger, als miteinander etwas zu tun. Es sind Anfänge von Du-Beziehungen, die im nächsten
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