Große Kinder
es dann, als meine Base ... mir von einer Reise ein eignes, wirklich ein eignes Haarnetz aus schönen Chenillen und dazuhin noch mit zwei auf der Seite baumelnden Troddeln mitbrachte. So was Herrliches gab es in der ganzen Welt wohl nicht wieder.
(Schumacher, zit. nach Rutschky, S. 64)
Bei uns waren es die Nickis, heute müssen es ganz bestimmte Jeans oder Turnschuhe sein. In allen Schulen auf der Welt gibt es diese »Modediktate«. Selbst dort, wo Kinder Schuluniformen tragen müssen, gibt es solche »Vorschriften«: bestimmte Armbänder oder Haarspangen, bestimmte Schulmäppchen oder -taschen usw. Zwar kommt das neidische Schielen nach der Kleidung der Klassenkameraden schon bei jüngeren Kindern vor, und auch Jüngere möchten »mit der Mode gehen« (vor allem Fünfjährige und Neunjährige!), aber in 6. und 7. Klassen hängen an der »Kleiderordnung« viel stärkere und andere Gefühle. Zusätzlich ist mit ihr oft ein bewertender Touch verbunden: Es gibt Klassen, da wird derjenige als ausgesprochen minderwertig angesehen, der keine Markenkleidung trägt, in manchen Klassen wird sogar genau »vorgeschrieben«, welche Marken getragen werden müssen, um anerkannt zu werden. In anderen Klassen wiederum gibt sich derjenige eine peinliche Blöße, der es wagt, ein Marken- T-Shirt – und sei es ein geerbtes – in die Schule anzuziehen.
Selbst-Verantwortung
Null Bock ist nicht gerade ein Ausdruck, der für Zwölfjährige typisch ist. Zwölfjährige haben jede Menge »Bock« auf alle möglichen Sachen, die sie, ohne zu fragen, voller Energie durchführen – nur nicht auf die »dämlichen« Schularbeiten oder Aufgaben, die auf Anordnung von Erwachsenen täglich erledigt werden sollen.
Wenn man 12 Jahre alt ist, dann sind so viele andere Dinge im Leben so viel wichtiger als der Schulstoff, dass die ewigen Ängste und Mahnungen der Eltern und Lehrer, schön fleißig für die Schule zu lernen, sehr abgedroschen und wie das Echo aus einer fernen, fremden, uralten Welt klingen müssen.
Viele Schulkatastrophen in diesem Alter gehen auf die einfache Tatsache zurück, dass Erwachsene (Lehrer und Eltern) in einer Art »Pakt« beschlossen haben, was und wie viel die Kinder zu lernen haben. Die Verantwortung dafür, dass die Kinder die vereinbarte Leistung erbringen, übernehmen (zuweilen wohl auf Druck der Schule) die Eltern: Sie sorgen dafür, dass die Schularbeiten gemacht werden, sie fragen Vokabeln ab und sie entscheiden, ob vier Fehler oder eine Drei im Diktat noch hinzunehmen sind oder nicht. Unbewusst schieben die Kinder dann natürlich die Verantwortung für ihre schulischen Leistungen auf die Eltern ab. Sie nehmen zwar die Tadel der Lehrer und der Eltern auf sich, selbst verantwortlich fühlen sie sich im Tiefsten aber sehr häufig doch nicht.
Spricht man Eltern darauf an, dass ihr Kind nie erfahren wird, wie gut beziehungsweise wie schlecht es sozusagen von Natur aus ist, wenn es einmal nicht auf den Test lernt, dass es seine eigenen Grenzen und Kapazitäten nur kennen lernen kann, wenn es in eigener Verantwortung lernt, aber auch mal
nicht
lernt und ein paar Arbeiten »verhaut«, dann wird deutlich, dass Eltern es in unserer Gesellschaft sehr schwer haben, ihren Kindern Selbst-Verantwortung zu überlassen: Da kommt dann die ganze geballte Angst um die Zukunft der Söhne und Töchter hoch, die Angst vor der nächsten Versetzung, vor dem Numerus clausus, vor dem schlecht bezahlten Posten oder gar der Arbeitslosigkeit. Angesichts dieser bedrohlichen Gefahren darf man als Vater oder Mutter heutzutage offenbar kein Kind mehr für sich selbst verantwortlich sein lassen!
Aber wie sollen Kinder sich selbst kennen lernen, ein Selbst-Bewusstsein entwickeln, wenn sie für sich selbst gerade in diesem Alter keine Verantwortung übernehmen dürfen? Sollten wir Erwachsenen nicht etwas von der Risikobereitschaft der Zwölfjährigen übernehmen und den Mut aufbringen, wenigstensin diesem Alter gelassener mit weniger guten Schulleistungen umzugehen? Vor allem wenn die Kinder andere Interessenschwerpunkte entwickeln und dabei ihre eigentlichen Energiekräfte schulen? Sollten wir nicht darauf setzen, dass die Kinder diese Kräfte von sich aus rechtzeitig vor dem Schulabschluss doch noch auf die »richtige« Schiene setzen?
Voraussetzung wäre allerdings, dass Sitzenbleiben wegen schwacher Schulleistungen zumindest bis zu den mittleren Klassen unterbleibt. Waldorfschulen haben damit seit 70 Jahren
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