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Große Kinder

Große Kinder

Titel: Große Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oggi Enderlein
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Lebensabschnitt so sehr in den Mittelpunkt des Lebens treten werden. So werden auch die Zweierfreundschaften in diesem Alter allmählich wichtiger.
    Erst in diesem Alter beginnen Menschen auch zu begreifen, dass sie selbst mit ihrem Verhalten beim anderen bestimmte Gefühle und Reaktionen hervorrufen: Wenn ich zu deutlich ausspreche, dass ich immer meine Hausaufgaben mache, dann denken die anderen, ich sei ein Streber. Oder: Wenn ich ein Versprechen nicht einhalte, denkt der andere, ich sei ein unzuverlässiger Mensch. Das sind erste Anfänge von Selbstkritik.
    Das Selbst
    Das neue Selbst-Verständnis
    Um selbst-kritisch zu sein, muss man sich selbst von außen, wie mit fremden Augen, anschauen können. Diese Fähigkeit entwickelt sich mit etwa 12   Jahren. Dazu gehört, dass sich Zwölfjährigen manchmal ganz unvermittelt »die Augen öffnen«: Viele Erwachsene erinnern sich lebhaft daran, wie sie etwa in diesem Alter plötzlich mit Bewusstsein entdeckt haben, dass sie als Person existieren, als eine einzigartige, einmalige, auf sich selbst gestellte Person, die ihr ganz persönliches Leben lebt. Das kann erschrecken und ermutigen zugleich. Jedenfalls ist diese Entdeckung wie der Verlust einer Unschuld: das Aufreißen eines neuen Horizontes, der Beginn eines neuen Selbst-Verständnisses!
    (Kinder mit 8, 9   Jahren machen manchmal eine ähnliche »existenzielle« Erfahrung. Aber in diesem Alter hat die Erkenntnis, eine einmalige Person zu sein, noch nicht diese Dimension wie bei Zwölfjährigen.)
     
    Das Selbst-Bewusstsein
    Die Feststellung: »Ich bin schon groß!!« scheint trotz der aufkeimenden Selbstkritik wie eine große, unsichtbare Überschrift über vielen Taten (und Missetaten) von Zwölfjährigen zu stehen. Wenigstens daran, dass sie groß sind, gibt es für Zwölfjährige nicht den geringsten Zweifel! Zwölfjährige werden deshalb gelegentlich für unerträglich überhebliche Angeber gehalten.
    Ob es ums Herausputzen und Schminken geht (bei zwölfjährigen Mädchen offenbar schon immer und überall ein wichtiges Thema!) oder ums Rauchen, ob darum, einen Sex-and-Crime-Film durchgehalten zu haben, oder ums Biertrinken   –wobei normalerweise nicht die Menge zählt (das ist Thema der Fünfzehnjährigen!)   –, ob darum, möglichst spät ins Bett zu gehen oder ums Feuerwerken oder ums Mitmachen bei den Banden der Jugendlichen: Mit 12   Jahren braucht man Beweise, dass man groß ist   – und wie!
    Einen ganz besonderen Reiz scheint auf zwölfjährige Jungen Feuer und Feuerwerk auszuüben. Offenbar steckt im gekonnten Umgang mit der Gefahr Feuer die geballte Bestätigung: Ich bin schon groß (und unzerstörbar?).
    Viele Männer aus allen Zeiten und Gegenden erinnern sich an Feuerwerksgeschichten, die sie etwa im Alter von 12   Jahren erlebt haben. Eine schöne Auswahl hat dazu Katharina Rutschky in ihrer
Deutschen Kinderchronik
zusammengestellt:
    Theodor Fontane um 1830, etwa 11   Jahre alt:
     
    Ungleich gefährlicher waren die beständig geübten Feuerwerkskünste. Ich hatte mich mit Hilfe von Schwefel und Salpeter, die wir in der Apotheke bequem zur Hand hatten, zu einem vollständigen Pyrotechniker herangebildet, dabei von meiner Papp- und Kleisterkunst sehr wesentlich unterstützt. Alle Sorten von Hülsen wurden mit Leichtigkeit hergestellt, und so entstanden Sonnen, Feuerräder und pot à feu’s. Oft weigerten sich diese Schöpfungen, ihre ihnen zugemutete Schuldigkeit zu tun, und wir warfen sie dann zusammen und zündeten den ganzen Haufen mißglückter Herrlichkeit mit einem Schwefelfaden an, abwartend, was daraus werden würde   ...
(Rutschky, S.   366   f.)
     
    Friedrich Ratzel um 1856, etwa 12   Jahre alt:
     
    Bedenkliche Richtungen schlug dieser Pioniertrieb in etwas späterer Zeit ein, als er sich auf Feuerwerk warf. Ich weiß nicht, wie es kam, daß unsere Soldaten auf dem Exerzierplatz
so viel volle Patronen verloren, aber es war ganz bekannt, daß man bei den Übungen im Feuer nur hinter einer Plänklerkette herzugehen brauchte, um da und dort eine volle oder nur halbgeleerte Patrone zu finden. Indem wir zusammentaten, füllten wir ganze Flaschen mit Pulver. Mit Speichel befeuchtet wurden daraus kleine Berge geformt, die unter Sprühen und Spratzen verbrannten. Als ich mich einmal zu nahe heranwagte und hineinblies, sprang mir der ganze Feuerteufel ins Gesicht. Es war am Tag nach meinem zwölften Geburtstag. Die Pulverexplosion warf mich plötzlich um einiges in meiner eigenen

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