Große Liebe Desiree
war guter Dinge. Aber er lachte nicht mehr, als er den Mann sah, der tot war. Der, den er suchte, lag auf dem Deck, ein schmaler junger Kerl in Grün, der so zerschmettert war - oh, entschuldigen Sie, Miss!«
Désirée preßte die Hand auf den Mund und unterdrückte einen Schrei. Sie wollte nichts mehr davon hören, aber es mußte sein. Sie mußte die Wahrheit wissen. »Fahren Sie fort, Mr. Clegg. Fahren Sie fort.«
Auf Sams Gesicht glänzte der Schweiß. »Dann ging der Käpt’n mit den anderen nach unten, um die Kabinen zu durchsuchen. Er ließ ein paar von den Männern die Truhe des französischen Käpt’ns raustragen, die Kassette mit dem Geld und so, aber ein Päckchen mit Papieren behielt er selbst. Ich erinnere mich besonders an das Päckchen. Es war nicht groß genug für Ladeverzeichnisse oder Rechnungen, es war kleiner, und außen war es rundherum bestickt, eigenartig, ganz fein, in hellen Farben.«
»Es waren Tiere außen aufgestickt, nicht wahr, Mr. Clegg?« fragte Désirée. »Affen und Vögel und Blumen.«
»Ja, Miss.« Er sah sie unsicher an. »Sie kennen das Päckchen, Miss?«
»Ich habe es für meinen Bruder als Geschenk gemacht. Er bewahrte seine Briefe darin auf.« Nicht die Korrespondenz der Swan, sondern die Briefe von zu Hause, die er aufbewahrte, um sie immer wieder zu lesen. Die Briefe, die sie ihm geschrieben hatte, um ihm alles zu berichten, was zu Hause passierte, liebevolle, ausführliche Briefe, die ihm die Einsamkeit versüßen sollten, sowie Entwürfe seiner eigenen Antworten.
Briefe, die auch ein Fremder lesen konnte, der dann alles wußte, was sich in Providence und in ihrer Familie zutrug.
Entwürfe von Obadiah selbst, die abgeschrieben werden und in einen neuen Zusammenhang gebracht werden konnten.
Ihre Brust war wie zusammengeschnürt, und sie konnte kaum sprechen.
»Aber warum ich, Mr. Macaffery?« flüsterte sie schließlich. »Warum sollte er sich die Mühe machen, zu mir zu kommen?«
»Weil, meine Liebe, nachdem Obadiah für ihn verloren war, Sie der einzige Schlüssel zu Monteil waren, den er noch hatte. So, wie ich hoffte, daß Sie den Franzosen dazu bringen, mit Amerika über den Frieden zu verhandeln, so, vermute ich, wollte Herendon, daß Sie ihn vom Krieg überzeugen, um Frankreich weiter für einen englischen Sieg zu schwächen.« Macaffery ergriff ihre Hand, und sie ließ es zu, zu benommen, um ihn daran zu hindern. »Es tut mir leid. Désirée. Wenn ich geahnt hätte, zu welcher Heimtücke dieser Mann fähig ist, wie er Sie benutzen würde, ich hätte Sie nicht dazu gebracht, nach England zugehen.«
Er konnte sie nicht so lieben, wie er behauptete, und ihr dann so etwas antun. Sie hatte ihm vertraut, und er hatte sie belogen, immer wieder belogen. Er hatte ihren Bruder getötet, und sie hatte ihm ihre Liebe und ihren Körper geschenkt. Es würde keine Hochzeit geben, kein gemeinsames Leben, keine Kinder ihrer Liebe. Es würde keine Träume mehr geben, denn unter seinen Lügen waren sie alle zu Asche geworden.
Und Gott helfe ihr, sie liebte ihn immer noch.
»Geht es ihnen nicht gut, Miss?« Mary Clegg stellte diese Frage und beugte sich über sie, und Désirée bemerkte, daß Sam das Baby im Arm hielt. »Ich sagte dir, Sam, du hättest es ihr schonender beibringen sollen. Schau, wie das arme Ding zittert.«
»Es geht mir gut«, sagte Désirée benommen und wußte doch, daß es nicht stimmte und niemals mehr so sein würde. »Es geht mir gut.«
»Dann hören Sie mir zu, Miss«, sagte Mary drängend. »Der Käpt’n ist immer noch ein guter Mann, denken Sie daran. Er führte seine Befehle aus, er wollte nicht grausam gegen Sie sein. Er mußte es tun, Miss. Er hat nur nicht damit gerechnet, daß er sich in Sie verlieben würde oder Sie sich in ihn.«
»Wo kann ich hingehen?« flüsterte sie traurig. »Was kann ich tun?«
Plötzlich war Macafferys Gesicht ganz nah bei ihrem. »Kommen Sie mit mir nach Paris, Désirée«, sagte er leise, nur für ihre Ohren bestimmt. »Sie können zu Ende führen, was Ihr Bruder begonnen hat, und sich mit Monteil treffen. Sie können noch immer alles zum Guten wenden. Ich werde mich um ein Schiff nach Calais kümmern, und wir können noch heute abend abreisen. Heute abend, Désirée. Das hätte auch Obadiah gewollt.«
»Paris.« Sie schloß die Augen und nickte. »Heute abend.«
Im Vergleich zur Aurora schien das kleine französische Schiff nur eine Nußschale zu sein, die auf der rauhen See des Ärmelkanals hin und her
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