Große Liebe Desiree
geworfen wurde. Es war für kurze Fahrten ausgerüstet und hatte daher keine Kajüten, nur einen engen kleinen Raum achtern mit einem Eßtisch und Bänken und Haken, an denen die Hängematten festgemacht werden konnten.
Hierhin zog sich Désirée zurück. Sie kauerte auf einer schmutzigen Bank, den Rücken an ein Schott gelehnt, die Füße auf einer Tasche mit ihren Habseligkeiten. Sie traute den fünf Mann Besatzung nicht, vielleicht raubten sie sie aus. Macafferys lautes, stockendes Französisch würde sie nicht daran hindern. Sie hatte gesehen, wie schnell der Kapitän die Münzen für ihre Überfahrt eingesteckt und sie danach beide abschätzend gemustert hatte. Niemand würde je davon erfahren, wenn Macaffery und sie in dieser dunklen Nacht über Bord gehen würden. Sie zog ihren Umhang enger um sich herum und seufzte. Würde sie Frankreich jemals sehen? So, wie sie sich im Augenblick fühlte, war es ihr gleichgültig.
»Sie haben geschwiegen wie ein Grab, seit wir Portsmouth verlassen haben, meine Liebe«, sagte Macaffery ne-ben ihr. Seine Gesichtszüge wirkten im Lichtschein der hin und her pendelnden Laterne verzerrt.
»Es gibt nichts mehr für mich zu sagen, oder?« entgegnete sie sorgenvoll.
Der Anwalt schnaufte. »Sie wissen, daß Sie Herendon nicht so schnell loswerden. Nein, ich wette fünfzig Guineas, daß Herendon Sie in Frankreich finden wird, und sei es nur, um das letzte Wort zu haben. Männer wie er sind nicht daran gewöhnt, verlassen zu werden.«
»Sie irren sich, Mr. Macaffery«, sagte sie und dachte an die Nachricht, die sie für Jack zurückgelassen hatte. »Es ist ihm egal, ob ich lebe oder tot bin.«
»Hören Sie auf, in Selbstmitleid zu versinken«, schimpfte der Anwalt. »Ich möchte nur, daß Sie vorbereitet sind, wenn Sie ihn Wiedersehen, das ist alles. Es war gut, daß Sie die Wahrheit erfuhren, ehe Sie ihn heirateten. Herendon ist einer von den Schurken ...«
»Ich möchte seinen Namen nicht mehr hören, Mr. Macaffery«, sagte sie mit bebender Stimme, »und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Meinung über ihn für sich behalten würden.«
»Verdammen Sie ihn oder verteidigen Sie ihn, Désirée. Sie können nicht beides tun.«
Sie zog ihren Umhang fester um sich und weinte sich still in den Schlaf.
Désirée wachte auf von Geschrei, von französischen Rufen von ihrem Schiff, die aus der Ferne erwidert wurden. Verwirrt richtete sie sich auf und schüttelte Macaffery, damit er ebenfalls aufwachte.
»Wir sind da, glaube ich«, sagte sie und lauschte auf weitere Geräusche von einem Hafen. Sie hörte die Glocke eines anderen Schiffes, sie klang so ähnlich wie die der Aurora, und weinte beinahe. Dann hörte sie mehr Stimmen und dann einen Stoß, als das Schiff gegen etwas stieß, vielleicht die Kaimauer. Sie stand auf und nahm ihre Tasche. »Kommen Sie mit?«
Macaffery blickte finster und gähnte, dann rückte er seine
Perücke zurecht. »Es ist zu früh für Frankreich. Der Kapitän sagte mir, wir würden Calais gegen Morgen erreichen, und es ist noch dunkel.«
»Nun, vielleicht ist es bewölkt oder neblig«, sagte Désirée und öffnete die Tür zum Gang. Steif und starr vom Schlafen im Sitzen stolperte sie an der Stufe und hielt den Atem an.
Die Schaluppe lag längsseits an einem anderen, weit größeren Schiff, dessen nasser, dunkler Rumpf über ihnen aufragte. Mit dem Kapitän stritt ein Mann, den sie nicht kannte, doch als der Wind seinen Umhang hochwehte, sah sie die Uniform eines Offiziers der französischen Marine. Sie versuchte, sich unbemerkt zurückzuziehen, doch ein anderer Mann sah sie und rief ihr etwas zu, dann eilte er auf sie zu, ehe sie entkommen konnte.
»Mr. Macaffery, helfen Sie mir!« schrie sie, als der Mann sie am Arm packte und sie über das Deck zu den beiden streitenden Männern schleifte. Der Offizier lächelte und sagte etwas zu ihr in sehr schnellem Französisch, so daß sie nur verwirrt den Kopf schütteln konnte.
»Überlegen Sie, was Sie sagen, Désirée«, warnte Macaffery, der sie erreicht hatte. »Franzosen sind die schmierigsten Kerle, die Gott erschaffen hat. Ah, bonjour, et regar-dez-moi, mes amis, ah, verdammt, wie war doch das Wort?«
Die Franzosen brüllten vor Lachen, und Désirée dachte, was für einen armseligen Verbündeten sie in Mr. Macaffery hatte. Sie entschied, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Während Macaffery weiterhin versuchte, Französisch zu radebrechen, schlug sie ihre Tasche, so hart sie konnte, in
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