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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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die Tür wieder zugeworfen.
    Glück gab Gas, und der Wagen fuhr weiter.
    »Das ist er!«, flüsterte Großer-Tiger.
    »Wer?«, fragte Christian.
    »Der, der in das Waschfass spuckte.«
    »Ich will schauen, ob er es ist«, sagte Christian.
    »Nein, bleib sitzen! Er ist es bestimmt, ich kenne ihn an der Stimme.«
    »O weh!«, sagte Christian.
    »Da ist keine Hilfe«, sagte Großer-Tiger.
    Die Stadt Hwai-Lai-Hsien verschwand hinter Hügeln, und weiter weg sah man nur noch die Hsingan-Berge, die den Horizont begrenzten.
     Der Bodennebel zerflatterte, und die Sonne stieg strahlend in den blauen Himmel. Glück fuhr auf der alten Landstraße, die
     dem Lauf des Yang-Ho folgte. Streckenweise führte die Straße auf dem Uferdamm entlang. Tief unten sah man den Gelben Fluss.
     Fast schien es, als ob das kein Wasser wäre, so trüb war es von dem vielen Sand und losgelösten Lehm.
    Christian und Großer-Tiger kannten den Yang-Ho von Peking her. Er floss zwar nicht durch die Stadt, und man musste einen Ausflug
     machen, wenn man ihn sehen wollte. Auch einen andern Namen hatte er bei Peking. Er hieß nicht mehr Yang-Ho, sondern Hun-Ho,
     und später, wenn er bei Taku ins Meer ging, hieß er sogar Pei-Ho und trug große Schiffe.
    Hier sah man kein Boot. Die eiligen Wellen blitzten in der Sonne, und einige Wildenten flogen, wenn Glück tutete. Die Pappeln
     am Ufer trugen noch keine Blätter. Dafür saßen Krähen auf den Ästen, die lärmten und mit den Flügeln schlugen.
    »Pass auf!«, sagte Großer-Tiger, »wenn die Krähen nach Osten fliegen, ist es ein gutes Zeichen.«
    »Und wenn sie es nicht tun?«
    »Dann ist es gleich. Wenn sie aber nach Westen fliegen, ist es schlecht.«
    »Woher weißt du das?«
    »Das weiß man eben«, behauptete Großer-Tiger. »Wer eine Reise macht, muss auf solche Dinge Obacht geben.«
    »Die Krähen fliegen aber nicht«, sagte Christian, »sie schreien nur, und sie schlagen mit den Flügeln.«
    »Dann geht man einer Gefahr entgegen«, sagte Großer-Tiger.
    »Weißt du das bestimmt?«
    »Da gibt es keinen Ausweg. Jetzt will ich im Kalender lesen.«
    Großer-Tiger nahm das gelbe Buch, das ihm Glück in den Schoß geworfen hatte, und schlug es auf.
    »Es ist heute der sechste Tag des zweiten Monats«, sagte Christian.Großer-Tiger rechnete nach. »Vorgestern war der vierte Tag, da schwänzte ich die Schule; gestern war der fünfte Tag, da kamen
     wir nach Hwai-Lai-Hsien; heute fahren wir, also ist es der sechste Tag, und du hast recht. Schau, was hier steht.«
    »Lies lieber vor, es geht schneller«, sagte Christian.
    »Am sechsten Tag des zweiten Monds«, begann Großer-Tiger, »ist es fördernd, abzustehen. Man wünscht kräftiges Fortschreiten,
     aber es gibt Behinderung. Dem Wagen springen die Speichen von den Rädern. Kein Reisetag. ›Will man den Fortschritt erzwingen,
     wird es uns Unglück bringen.‹ Man muss sich mit dem Erreichten begnügen. Ein Tag für Vorarbeiten. Nicht Haare schneiden, nicht
     heiraten. Beharrlichkeit bringt Erfolg.«
    »Aha!«, sagte Christian, »darum ist Glück ängstlich.«
    »Da ist keine Hilfe«, sagte Großer-Tiger und klappte das Buch zu.
    Glück fuhr jetzt langsam. Die Landstraße zum Fluss hinunter war abschüssig, der Boden war weich und ausgefahren, und eine
     gelbe Staubfahne folgte dem Wagen. Sobald der Weg vom Wasser abbog, kam man durch Dörfer, die nur wenige Häuser hatten. Es
     sah aus, wie wenn es keine Bewohner dort gäbe als alte Frauen, die an Stöcken gingen, und Kinder, die den Dung der Pferde
     und Esel sammelten. Hinter den Bambushecken grünten spärliche Gemüsepflanzungen. Ein schwarzes Schwein stand im Wege, und
     Glück tutete schrecklich, doch es ging nicht von der Stelle. Da musste Glück ausweichen, die Eisenfässer schlugen aneinander,
     und Christian wurde von dem Stoß umgeworfen. Er fiel in die Schachtel, wo die Nudeln für langes Leben darin waren.
    »Hoppla!«, sagte Großer-Tiger, »die schlechte Sache beginnt!«
    Aber es passierte weiter nichts, und nach zwei Stunden Fahrt war man in der Stadt Hsüan-Hua-Fu. Fu bedeutet Bezirksstadt ersten
     Ranges, doch davon merkte man wenig. In den Außenbezirken, wo die armen Leute wohnten, waren viele Lehmhütten zerfallen und
     verlassen, und im Innern der Stadt gab es eine ganze Anzahl Geschäfte, die geschlossen waren. Am meisten fielen die verwahrlosten
     Gasthäuser auf. Die ausgedehntenHöfe und die Stallungen standen leer, und die Wirtshausschilder waren lange nicht mehr frisch

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