Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
Vom Netzwerk:
hinwegkommen«, seufzte Ungemach, »man müsste eine Laterne haben.«
    »Man sieht es auch ohne Licht«, sagte Gontschuk, und er hobmit aller Kraft die Zeltstange so weit empor, dass der Daumen Glücks frei wurde. Aber der Daumen rührte sich nicht.
    »Glück!«, rief Christian schmerzlich und schob die Hand mit dem dick geschwollenen Daumen beiseite. Glück gab auch jetzt keine
     Antwort, und Gontschuk ließ die Zeltstange dumpf fallen. »Man muss die Lebensgeister zurückrufen«, riet er, »sie können noch
     nicht weit fort sein.«
    Da füllte Christian seine silberne Essschale aus dem Wasserfass und schwappte das gute kalte Wasser Glück ins Gesicht. Das
     half. Glück kriegte deswegen noch lange keine Farbe, aber er schlug die Augen auf.
    »Mein Kopf«, wimmerte Glück, »meine Ohren, mein Genick, nichts befindet sich gleichmäßig.«
    »Die Haarkrankheiten sind zahlreich«, sagte Ungemach, aber während er weiterfuhr und Verhaltungsmaßregeln gab, rollte er eine
     Filzdecke zusammen, schob sie Glück unter den Kopf und deckte ihn mit seinem Mantel zu.
    »Lege dich auf die Seite«, riet Ungemach, »sonst schmerzt dich die Beule am Hinterkopf. Was sagst du? Ach so, die Schulter
     tut dir weh. Nun, ich werde nachsehen, ob eines der Pferde gestorben ist. Pferdefett gibt eine gute Salbe.«
    Er streckte den Kopf zum Zelt hinaus, doch da sah er Gontschuk durch die rötlichen Sandwolken wie einen Schatten gehen, und
     neben Gontschuk standen vier Pferde an der Leine. Keines fehlte, und keines lag am Boden, denn Gontschuk hatte die Pferdeleine
     vorsichtshalber ein gutes Stück von der Felswand entfernt ausgespannt. Jetzt, da von oben nur noch kleine Kiesel kamen, die
     der Sturm in den Kessel trug, verlegte er die Leine nah an den Fels. Hier standen die Pferde geschützt.
    »Ich dachte«, sagte Gontschuk, als er zurückkehrte, »das Zelt würde den Steinschlag besser abhalten. Ich werde es mir für
     die Zukunft merken.«
    »Die Zukunft ist ungewiss«, sagte Glück, »sicher ist nur das Gegenwärtige.« Und er befühlte den Hinterkopf, und ob die Beule
     noch da wäre.
    »Sie wird wachsen«, tröstete Ungemach, »wir haben Zeit zum Warten.«
    Er räumte das Zelt auf, Großer-Tiger fegte die Asche hinaus, und Christian schlug die Zeltpflöcke nach. Sie hatten sich gelockert,
     als der Luftdruck das Zelt hochhob.
    »War das nur so?«, fragte Christian, »oder war es anders, als es donnerte und als der befehlende Herr den Daumen unter der
     Stange befestigte?«
    »Was habe ich?«, fragte Glück ahnungslos.
    »Du hast einen unförmigen Daumen«, teilte Ungemach mit.
    Glück betrachtete den dunkelrot geschwollenen Daumen, aber er schwieg heroisch. Man hörte den Sturm über die Felswände jagen,
     es pfiff und es heulte in den Kaminen, und der Sand fiel prickelnd wie ein feiner Regen auf das Zeltdach. Weiter weg schlugen
     die Steine ins Gras.
    »Ihr müsst nach den Kamelen sehen«, befahl Glück, und daran merkte man, dass es ihm schon wieder besser ging. Christian und
     Großer-Tiger sprangen auf, aber Gontschuk sagte: »Ich gehe mit euch.«
    Zu dritt verließen sie das Zelt, und als sie aus dem Windschatten der Felsen traten, fasste der Sturm nach dem schönen Fellhut
     von Großer-Tiger. Großer-Tiger erwischte ihn gerade noch, und Gontschuk zeigte ihm die Bänder, die für solche Fälle im Innern
     angenäht waren. Man musste sie unter dem Kinn zusammenbinden.
    »Nummer eins«, rief Gontschuk laut und deutete auf das Lastkamel, das sich mit dem Rücken gegen den Wind zwischen das Derresgras
     gelegt hatte. Der lange Hals mit dem Kopf voraus lag ausgestreckt am Boden, die Augen waren halb geschlossen, aber die Nüstern
     bewegten sich.
    »Hier befindet sich keines mehr«, brüllte Gontschuk, und Christian wunderte sich, woher Gontschuk das wissen wollte. In dem
     herrschenden Halbdunkel, durch das die Sandwolken wie Schleier zogen, sah man keine zehn Meter weit. Aber Gontschuk hatte,
     bevor der Sturm losbrach, nicht auf die Adler geschaut, auf die Ungemach mit dem Finger zeigte; er hatte sich blitzschnell
     und mit so großer Genauigkeit die Standorte der Kamele gemerkt, dass er sie auch in der Nacht gefunden hätte. Daher schritt
     er, ohne zu suchen, wie ein Traumwandler dahin,wo er das zweite Kamel zuletzt gesehen hatte. Er fand aber kein Kamel. Schatten von mächtigen Felsblöcken, die vorher nicht
     dagelegen waren, tauchten auf, und Gontschuk stolperte über Geröll und scharfkantige Steinplatten. Er fluchte

Weitere Kostenlose Bücher