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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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sehr.«
    Der Wirt ging voran. Hinter dem Haus gab es Stallungen mit Pferden und eine dichte Bambushecke, wo ein Hund schrecklich zu
     bellen begann. Man sah ihn nicht genau, doch seine Gestalt zeichnete sich wie ein Schatten in den feinen Zwischenräumen der
     Bambusstäbe deutlich ab.
    »Ein mächtiges Stück Hund«, bemerkte der Wirt, »ein Schrecken der Räuber, bitte sehr.«
    »Gibt es hier welche?«, fragte Christian zum dritten Mal an diesem Tag.
    »Haufenweise, bitte sehr! Die meisten Herrn Soldaten zum Beispiel sind Räuber, das heißt, ich bitte um Vergebung, die Exzellenz
     des Herrn Glück ist selbstverständlich ausgenommen. An ihm ist keine Spur von einem Rotbart, nicht einmal ein Stäubchen. Hier
     ist der Brunnen, bitte sehr; ich werde den Korb hinunterlassen.«
    »Wir haben eine Kanne«, sagte Großer-Tiger.
    »Der Himmel bewahre mich vor Leichtsinn«, rief der Wirt, »wie könnte ich ein wertvolles Stück Kanne diesem alten Strick anvertrauen!
     Nein, wir ziehen lieber zwei Körbe voll Wasser, und die Kanne wird nicht zerkratzt. Bitte sehr! Schon ist der erste Korb unten.«
     Man hörte das Aufplatschen des Weidenkorbs im Brunnenschacht.
    »Schnell herauf!«, rief der Wirt, »damit sich das Gute zeige. Bitte sehr, das ist die Sprache der Dichter, die bei mir verkehren.«
    Während er so schwatzte, zog er eifrig am Seil. Das Seil lief übereine Holzrolle, die Rolle drehte sich, und der Korb erschien. Nur wenig Wasser tropfte durch das enge Geflecht. Großer-Tiger
     zog den Korb herbei und leerte ihn in die Kanne.
    »Der halbe Segen ist nicht der ganze«, sprach der Wirt und ließ das Seil von neuem ablaufen, »der vorläufigen Mehrung folgt
     die Vollendung.«
    »Wir danken«, sagte Großer-Tiger, als die Kanne voll war. »Wir danken, und wir gehen«, sagte Christian.
    »Wozu die Eile?«, fragte der Wirt, »wohin reisen meine jüngeren Brüder?«
    »Wir fahren nach Sinkiang.«
    »Nicht für einen Wagen voll Teufel würde ich   …, Verzeihung; ich meine nur, dieses ist ein schlechter Reisetag. Ich habe heute mit keinem Gast gerechnet. Aber das ist die
     neue Zeit. Niemand achtet mehr den Kalender.«
    »Doch«, sagte Großer-Tiger, »wir haben gelesen, dass heute die Speichen von den Rädern fallen.«
    »Oh, ich wusste es ja«, rief der Wirt freudestrahlend, »die jungen Herrn sind Gelehrte! Gewiss; die Speichen werden von den
     Rädern fallen; ganz gewiss werden sie das tun, bitte sehr; es muss ja nicht gleich sein, und die Speichen brauchen es auch
     nicht zu sein. Man muss das nicht so wörtlich nehmen. Es gibt nämlich eine Menge Unglück von der allerbesten Sorte: es gibt
     Schneesturm, es gibt Hitze, es gibt Sandsturm, es gibt Überschwemmung, es gibt Donner, Blitz, und es gibt noch viel mehr.
     Bitte sehr, und es gibt auch Räuber.«
    »Wir haben noch keinen gesehen«, sagte Christian.
    »Das«, sprach der Wirt mit bedenklicher Miene, »kann man nie wissen. Man sieht es dem Menschen nicht an der Nasenspitze an,
     ob er einer ist. Die ehrbaren Rotbärte gehen jetzt nach Hause, um das Feld zu bestellen. Die großen Gauner, ich bitte um Vergebung,
     ich meine die entlaufenen Herrn Soldaten, gehen aber nicht nach Hause. Sie verursachen Unheil auf allen Wegen. Das muss nicht
     heute sein, wie gesagt, das kann morgen oder übermorgen sein. Ich jedenfalls wünsche Wohlergehen und gedeihliche Geschäfte.«
    »Wir haben keine Geschäfte«, sagte Christian.
    Der Wirt lachte, als ob er sagen wollte: Mir braucht ihr das nicht weiszumachen.
    »Entschuldigung«, sagte Großer-Tiger, »wir müssen gehen. Der Herr Glück wartet auf das Wasser.«
    Während der Wirt vorausging, versuchte er noch einmal die Rede auf Geschäfte zu bringen, aber Großer-Tiger sagte: »Wir sind
     unerfahren in jeder Art von Geschäft.«
    »Wir sind jung und unwissend«, bekräftigte Christian.
    Da blieb der Wirt stehen, und es war leicht zu sehen, dass er ärgerlich war, obgleich er lachte und von Segenswünschen überfloss.
     Schließlich ging er ins Haus zurück.
    »Ein alter Schwätzer das«, sagte Glück, als ihm Großer-Tiger die Kanne reichte; »was hat er gesagt?«
    »Er meinte, es sei nicht gut, an einem solchen Tag zu reisen, wie wir es tun.«
    »Das weiß ich auch. Hast du im Kalender gelesen?«
    »Ich habe im Kalender gelesen, befehlender Herr.«
    »Was denkst du darüber?«, fragte Glück.
    »Ich denke, dass es bald Abend sein wird und dass bis jetzt nichts passiert ist.«
    »Recht so! Es wird auch nichts passieren. Wenn

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