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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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»ich sage euch meine Freude.«
    Der Uralte-Herr setzte sich. »Bevor wir reiten«, sagte er, »bitte ich euch, mir zu berichten, wie es in Peking aussah, als
     ihr fortgingt.«
    »Wir haben gar nicht gemerkt, dass es Krieg geben würde«, antwortete Großer-Tiger. »Wir wollten einen Drachen steigen lassen,
     und alles war wie sonst.«
    »Niemand hat etwas gewusst«, bestätigte Christian, »erst als wir an den Bahnhof Schi-Schi-Men kamen, waren auf einmal Kanonen
     und Soldaten da. Aber die Soldaten hatten keine Lust zum Krieg machen.«
    »Am Nan-Ku-Pass sind sie einfach fortgelaufen«, sagte Großer-Tiger.
    »Und der General Wu brauchte nicht schießen«, sagte Christian, »er besetzte die Große-Mauer, weil kein Feind da war.«
    »Er hat Peking erobert, und er hat Tientsin im Handstreich genommen«, teilte der Uralte-Herr mit, »ich erfuhr es durch die
     Telegrafen-Leute in Anshi.«
    »Der General Wu-Pei-Fu wird den Bürgerkrieg beenden, und es wird schöner Friede sein«, rief Großer-Tiger.
    Der Uralte-Herr sagte: »Dazu seid ihr unterwegs, ihr seid Boten des Friedens. Wisst ihr das?«
    »Wir wussten es nicht«, sagte Großer-Tiger.
    »Jetzt wissen wir es«, sagte Christian.
    Es wurde still. Der blaue Himmel und eine helle Zuversicht strahlten von oben in Dampignaks Zelt. Auch hier lagen kostbare
     Teppiche, und ein Feuer brannte in der Mitte.
    Langsam griff der Uralte-Herr in die Falte des grauen Mantels, den er trug, und seine Hand brachte das dünne Heft heraus,
     das zwischen die Holzblättchen gepresst war.
    »Keine Angst«, sagte er lächelnd zu Großer-Tiger, »das Blatt des heiligen Baumes wird nicht versehrt werden.«
    Er knotete die Seidenschnur auf. Zuoberst lag ein verschlossener und versiegelter Brief, und Großer-Tiger las in breiter Pinselschrift
     die Worte: »An den sehr alten Gebieter Yang-Tsen-Hsin, Marschall von China, Gouverneur der Westlichen Provinz Sinkiang, Tih-Hua-Fu.«
    Christian begann auch zu lesen, aber als er bis zu: »sehr alten Gebieter« gekommen war, sagte Dampignak zu ihm: »Da du, Kompass-Berg,
     der Geheimbote des Generals Wu bist, so nimm auch meinen Brief und beuge das Knie für mich, wenn du ihn der alten Exzellenz
     gibst. Seid vorsichtig, meine Kinder, denn ein Brief des Räuberhauptmanns Dampignak wäre für die Boten gefährlich, wenn er
     in unrechte Hände fiele.«
    »Ich werde nie mehr an die Brusttasche langen«, versicherte Christian.
    »Wir werden so geheim sein«, sagte Großer-Tiger, »dass wir selbst nicht mehr wissen, was andere nicht wissen sollen.«
    Christian nahm den Brief mit beiden Händen entgegen, hob ihn zur Stirn, und nachher steckte er ihn dahin, wo der Brief des
     Generals Wu seit einem Monat war.
    »Ich bewundere meinen älteren Bruder Wu«, sprach Dampignak, »er ist einfallsreich und kühn. An ihn klammert sich das Volk
     wie Kinder an Vater und Mutter, aber er kennt seine Grenzen. Er hasst die Fülle, und er liebt die Bescheidenheit. Er sendet
     euch zu dem großen Befähigten, dem auch ich dienen möchte. Mein älterer Bruder Wu konnte keine begabteren Boten finden.«
    »Wir sind gering«, wandte Christian ein.
    »Wir verdienen keinerlei Beachtung«, sagte Großer-Tiger.
    »Es geschieht nicht oft«, fuhr Dampignak fort, »dass der Wille des Himmels sich durch ein Beispiel kundtut.«
    Er öffnete das dünne Heft, in dem es viele leere Blätter gab und zwei in der Mitte, die eng beschrieben waren. Ein seidener
     Heftfaden hielt sie zusammen. Dazwischen lag ein braunes vertrocknetes Fliederblatt. Dampignak hob es sorgfältig heraus, legte
     es beiseite und riss die beschriebenen Blätter aus dem Heft. Da war es leer, und Dampignak legte das Fliederblatt behutsam
     in die Mitte zurück. Dann presste er das Heft zwischen die Holzplättchen, schnürte die rote Schnur darum und verwahrte es
     in der Mantelfalte.
    »Durch euch erfuhr ich«, sprach der Uralte-Herr, »von der Weisheit des Mannes Naidang, den man den Bilderbogen nennt. Er widerstand
     der Versuchung, um Unheil zu vermeiden. Für mich gibt es keine Versuchung. Ich kenne den Platz, und ich weiß, dass Gold und
     Edelsteine die Welt in Verwirrung stürzen. Ihr habt mich daran erinnert, solange es Zeit ist. Seht zum zweiten Mal, wie ein
     unermesslicher Schatz verbrannt wird.«
    Er zerknüllte die dünnen Papiere und warf sie ins Feuer. Sie flackerten hell auf, die schwarze Asche krümmte sich, und als
     sie zerfiel, stand Dampignak auf.
    »Wir reiten«, sagte er.
    Er hing sich einen

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