Großer-Tiger und Christian
Mondschein über eine Rampe zu dem höchsten
Verteidigungswerk der Burg emporstiegen.
Es lag auf einem Plateau von Lössfelsen, die zu Steilwänden abgegraben waren. Oben gab es noch einmal Mauern mit Schießscharten.Sie umgrenzten ein vollkommen leeres Viereck. An der Ostseite stand der Wachturm, aber auch er war von Mauern umgeben, die
als letzte Zuflucht gedacht waren.
Mondschein wandte sich dem schmalen Torweg zu, und Großer-Tiger und Christian gingen hinter ihm drein, als von oben ein Stimme
in schlechtem Chinesisch wetterte: »Ihr meine Brüder, eilends heraufkommen sofort, gleich wird Sonne geboren mit Empordringen
und großem Heil.«
Mondschein lachte. »Geht flink«, sagte er, »mir scheint, Donnerkeil möchte euch den Sonnenaufgang zeigen.«
»Wir kommen«, rief Christian, und dann rannte er mit Großer-Tiger durch den Torweg. Sie überquerten den kleinen Binnenhof,
und sie liefen nebeneinander die Holztreppe empor, die zum ersten Zwischenboden des Wachturms führte. Im Turm war es dunkel,
es gab keine Fenster, und nur von oben fiel ein matter Schein durch einen viereckigen Ausschnitt. Man konnte auch keine Treppe
mehr hinauflaufen, denn es gab bloß eine schwankende Leiter, die weiterführte. Rasch entschlossen schlüpfte Großer-Tiger aus
den Stiefeln, und er war schon die Hälfte der Sprossen hinaufgeklettert, als Christian ihm folgte. Oben wartete Donnerkeil.
»Sonne sich verspäten, extra wegen euch sehr wahrscheinlich. Nicht hier«, rief er donnernd, »dies gewöhnlicher Ausguck-Platz,
ein bisschen ganz oben, wo Habicht und Adler ausruhen, wenn müde sein etwa.«
Und schon beschritt er krachend eine zweite Leiter, die sehr steil stand und von der man nicht wusste, wohin sie führte und
wo ihr oberes Ende war, denn nirgends gab es einen Lichtschimmer. Christian und Großer-Tiger schauten Donnerkeil nach, wie
er im Dunkel verschwand.
Sie waren in der Turmstube mit den vier leeren Fensteröffnungen, und der Posten trat auf sie zu und grüßte. An der Wand hing
ein Gewehr und ein Messinghorn.
Plötzlich gab es einen dumpfen Krach, und oben wurde es hell. Donnerkeil hatte mit seinem Kopf die Falltür aufgestoßen, die
zur Plattform des Turmes führte. Christian und Großer-Tiger beeilten sich. Sie sagten »Auf Wiedersehen« zu dem Wachposten,und: »Wir sind gleich wieder da«, und dann stiegen sie die Leiter hinauf.
»Hier«, schrie Donnerkeil, »sein erhabener Platz von Vereinigung Himmel und Erde. Das da nicht beachten weiter.« Damit meinte
er ein Maschinengewehr, das auf einem hohen Schlitten in der Mitte der Plattform stand.
»Hier Empordringen aus dem Dunkel, das meint Segen und erhabenes Heil. Klein bisschen warten! Nein«, rief Donnerkeil jubelnd,
»schon da.«
Man sah die Sonne, wie sie sich über den Rand der Wüste erhob. Feurig wie eine Schlechtwetterwolke stieg sie über den blauen
Dunst, und sie übergoss die Wüste und die Kiesebene, die drei Hügel und die steinerne Burg mit flammendem Schein.
Viermal blies der Wachposten in der Turmstube einen langgezogenen Trompetenton, aus jeder Fensterluke einen. Der Tag war da.
»Großer-Tiger«, flüsterte Christian, »ich muss dich etwas fragen.«
»Kwi-Schan«, flüsterte Großer-Tiger, »es gibt keine Hilfe. Wir müssen tapfer sein, oder so tun, als ob wir es wären. Das meintest
du doch?«
»Das meinte ich«, sagte Christian.
»Wir sind ja zu zweit«, tröstete Großer-Tiger.
»Und wir sind uns einig«, sagte Christian.
Sie beugten sich über die Mauerbrüstung, und sie schauten nach Osten wie Donnerkeil, der den Arm hob und die Gebetskette freudig
der Sonne entgegenschlenkerte, als ob er ihr winke.
»Schaut euch um, meine Brüder«, rief er, und Mondschein, der eben aus der Luke auftauchte, sagte: »Jetzt sollt ihr die Burg
von oben betrachten.«
Er wies nach Norden, und da sahen Christian und Großer-Tiger weitläufige Höfe und feste Bauwerke, die sich bis in den rückwärtigen
Talgrund senkten. Aus vielen Brunnen wurde Wasser geschöpft, überall standen Pferde an den Umfassungsmauern, Männer gingen
mit Futtersäcken und Wasserkübeln, und durch die offenen Tore wurden Kamele und Pferde getrieben.
»Sie gehen auf die Weide«, erklärte Mondschein, »nicht weit von hier gibt es eine große Derreswiese.«
»Dort drüben«, rief Donnerkeil, »müssen betrachten meine Brüder Graben von dummem Volk, das meinen uns totschlagen können
sofort wie Wolf im Winterchen Mond.«
Er
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