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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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die Probe stellen. Habt ihr Kasim getroffen? Ach, ich sehe schon, ihr
     seid ohne ihn zurückgekehrt, und wir müssen eine Trauerfeier veranstalten.«
    »Ich bin Kompass-Berg«, rief Christian und sprang vom Pferd, »aber hinter mir sitzt auch einer.«
    »Sallam«, grüßte Kasim mit Würde.
    Da umringten ihn die Dunganen, die vor dem Donner davongelaufen waren, und später erzählte Kao-Scheng, Kasim habe gesagt,
     er sei ohnmächtig geworden, als die Erde wankte, und deshalb wäre er auf seinem Platz liegengeblieben. Das sagte Kasim aber
     bloß, damit das Gesicht der Dunganen geschont wurde, sonst hätten sie sich schämen müssen. So einer war Kasim.
    Als alle um das Feuer saßen und aßen, was es gab, berichtete Dampignak, wie es in Fallende-Wand zugegangen war, und Kao-Scheng
     sagte weise: »So ist es, wenn das Schicksal rollt.« Er sagte auch: »Auf tausend Arten kann man das Leben verlieren; aber«,
     rief er plötzlich, »das Erschüttern brüllte ›Hu hu!‹ bis hierher, und die Erde hob und senkte sich wie ein Wagbalken. Wir
     aber lächelten ›Ha! ha!‹«
    Er blickte sieghaft im Kreis umher, und die Zuhörer, die seine Rede verstanden, schauten vor so viel Unverfrorenheit beschämt
     zu Boden.
    Dampignak lächelte, Großer-Tiger wollte antworten, und Christian hätte gern gefragt, wohin Kao-Scheng vor einer Stunde reiten
     wollte. Aber sie waren zu müde dazu. Sie waren dankbar, dass das Feuer sie wärmte, und sie schliefen ein, ohne Tee zu trinken,
     und Kao-Scheng saß stolz und aufrecht neben ihnen.

Einundfünfzigstes Kapitel, in dem viele Tränen fließen
    Christian erwachte nicht von allein, und Großer-Tiger musste gerüttelt werden, bevor er die Augen aufschlug. Da graute der
     Morgen, die Sterne im Westen verblassten, und Kao-Scheng rief: »Auf, ihr Männer!«
    Seine Stirn war umwölkt, und obwohl er die leichten Filzschuhe wieder anhatte, stapfte er schwerfällig zu den Pferden.
    Christian und Großer-Tiger blickten sich um. Dampignak saß neben ihnen. Das Feuer war heruntergebrannt, aber eine Kanne mit
     heißem Tee stand in der Glut.
    »Trinkt«, sagte der Uralte-Herr, »etwas zu essen gibt es erst in Fallende-Wand.«
    Dann neigte er sich Großer-Tiger entgegen. »Jetzt«, sagte er, »sollst du mir den Ring geben.«
    Großer-Tiger zog ihn vom Daumen, er hob ihn zur Stirn, und er beugte das Knie. Er sagte: »Der heilige Mann Jolleros-Lama befahl
     mir, den Ring dem zu geben, der mit großem Verlangen danach begehrt.«
    »Ich habe dieses Verlangen«, sprach Dampignak. Er kniete vor Großer-Tiger nieder und nahm den einfachen Silberreif wie ein
     hohes Gut entgegen.
    Kao-Scheng, der die Pferde brachte, blieb vor Schreck stehen. Da kniete einer, den man mit »Exzellenz« und »Eure Herrlichkeit«
     anreden musste, vor einem Knaben. Kao-Schengs Staunen wuchs, aber seine geringe Vorstellungskraft suchte vergeblich nach einer
     Erklärung. Schließlich dachte er, es sei eine Zeremonie vor dem Beginn großer Gefahren. Er hörte, wie Großer-Tiger sagte:
     »Jolleros-Lama bat, in dieser Stunde seiner zu gedenken als eines Mannes, der aus der Welt ging.«
    »Ich gedenke seiner«, sprach Dampignak.
    Da konnte Kao-Scheng nicht länger an sich halten. Was hier geschah, war unheimlich. Also räusperte er sich laut und machte
     einen Schritt vorwärts.
    Dampignak und Großer-Tiger erhoben sich, und Kao-Scheng machte einen zweiten Schritt.
    »Ist es gestattet«, begann er zögernd, »nach dem Stand der Dinge zu fragen?«
    »Hauptmann«, antwortete Dampignak, »ich sagte Euch gestern, dass wir bei Sonnenaufgang gemeinsam in Fallende-Wand eindringen
     werden. Diese Stunde ist gekommen.«
    »Das war es also.« Kao-Scheng erschrak und er sagte: »Die Sonne ist noch hinter den Bergen.«
    »Sie wird scheinen, sobald wir in die Schlucht einreiten.«
    »Einreiten?«, rief Kao-Scheng. Er fasste sich aber und fragte: »Darf ich mich nach der Ordnung des Zuges erkundigen, damit
     ich meinen Männern die nötigen Befehle erteile?«
    »Sie hängt von Euch ab«, erwiderte Dampignak ernst, »wer Fallende-Wand zuerst betritt, gewinnt das Recht auf die Beute. Ausgenommen
     bleibt der Wagen, der dem General Wu gehört.«
    »Ist der auch hier?«, rief Kao-Scheng entgeistert.
    »Wu ist nicht anwesend«, setzte ihm Dampignak auseinander, »aber seine Abgesandten.« Und er zeigte auf Christian und Großer-Tiger.
    Kao-Scheng war zu verwirrt, um einen Zusammenhang zu begreifen. Er sagte: »Da Eure Herrlichkeit als Gast bei uns

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