Großer-Tiger und Christian
ausbrechen«, teilte Christian mit.
»Bereitet er einen Angriff vor?«, erkundigte sich Kao-Scheng besorgt.
»Wir glauben es nicht«, beruhigte ihn Großer-Tiger, »aber sie wollen fort.«
»Ich lache«, sagte Kao-Scheng; »hört ihr, wie ich ›Haha!‹ sage? Diese minderwertigen Subjekte fahren weder auf den Wolken,
noch haben sie fliegende Drachen als Gespann. Wie sollten sie uns entrinnen?«
»Mit dem Wagen, der von selber geht«, sagte Christian.
»Das werden sie bleiben lassen«, versicherte Kao-Scheng, »ich habe meinen Soldaten befohlen zu schießen, sobald es dunkel
wird. Jede Stunde einmal oder öfter. Das macht dem Feind Angstund bewahrt meine Leute vor dem Schlummer. Sie sind wachsam wie die Gazellen, aber was nützt das? Man muss sie vor dem Einschlafen
bewahren. Grenzwächter sein ist in harter Beruf.«
»Trotzdem«, sagte Christian, »möchten wir keinen Augenblick vergeuden.«
»Wie die jungen Herren wünschen«, sagte Kao-Scheng. Er betonte das Wort »Junge Herren« mehr als notwendig. Fast war es beleidigend.
Aber Großer-Tiger und Christian war um Eile zu tun, und Kao-Scheng erwies ihnen den Gefallen. Er wollte zeigen, dass er selbst
unnötige Dinge zu tun bereit war, und er ritt Galopp, sobald sie den Talgrund erreichten. Christian und Großer-Tiger ritten
hinter ihm drein.
»Einer von uns sollte bei den Pferden bleiben«, sagte Großer-Tiger.
»Wir wollen losen«, schlug Christian vor.
»Nein«, sagte Großer-Tiger, »ich bleibe und du gehst.«
Die Sonne stand nicht mehr hoch, als sie beim Lagerplatz Kao-Schengs eintrafen.
»Berichtet dem Fürsten«, bat Kao-Scheng, »dass wir ungeduldig den Kampf mit den Verbrechern erwarten.«
»Ich werde Eure Worte nicht vergessen«, versprach Christian.
»Wie?«, rief Kao-Scheng, »soll das bedeuten, dass du allein in die Felsenwildnis steigen willst?«
»Es bedeutet«, sagte Großer-Tiger, »dass ich müde Füße habe und nicht mehr zu klettern vermag. Wenn der Herr Hauptmann gestattet,
möchte ich mich hier ein wenig ausruhen. Ich werde beim Anbinden der Pferde helfen.«
»Anbinden?«, rief Kao-Scheng, »wozu anbinden, da wir diese Nacht mit Wachen verbringen?«
»Unsere Pferde sind es so gewohnt«, erwiderte Großer-Tiger, »wenn sie in der Nacht nicht still beisammenstehen, sind sie unglücklich.«
Da lachte Kao-Scheng laut und herzlich. Er konnte sich gar nicht beruhigen. Noch nie hatte er gehört, dass Pferde glücklich
oder unglücklich sein könnten. Er prustete noch immer, als Christian sagte: »Ich komme bald wieder.«
»Halt einmal!«, rief ihm Kao-Scheng nach. Er hatte sich so weit erholt, dass er reden konnte. »Was das anlangt, müssen wir
ein Losungswort ausmachen, eine Parole sozusagen. Es könnte Nacht sein, und ich muss die Pferde verteidigen. Wie wäre es mit:
Alter Gebieter?«
»Alter Gebieter ist gut«, sagte Christian, »ich werde ›Alter‹ rufen, und ihr antwortet ›Gebieter‹, damit ich weiß, dass Ihr
es seid. So haben wir diese Sache gelernt.«
»Ein ausgezeichnetes Verfahren«, lobte Kao-Scheng, und dann verabschiedete sich Christian schleunig.
Er stieg den Bergrücken hinauf, und als er unter dem Gipfel stand, ging die Sonne unter. Allein Christian hatte keinen Blick
für die wilde Schönheit der rot- und goldglänzenden Ebene, der flammenden Hügel und der schwarzen Wand gegenüber, die sich
ins Bodenlose verlor. Er hastete den Spuren Dampignaks nach, und er erreichte den gezahnten Gipfelgrat bei einbrechender Nacht.
»Wo ist Großer-Tiger?«, fragte Dampignak sofort.
»Er blieb bei den Pferden«, antwortete Christian, »weil man nicht weiß, was Kao-Scheng tut, wenn Fallende-Wand einstürzt.«
»Recht so«, lobte Dampignak, und dann ließ er sich von Christian berichten. Das meiste wusste er schon. Er hatte gesehen,
wie der Dicke Baumwollstricke drehte, wie Schlangenfrühling schaufelte, und er hatte das Hämmern und Pochen Grünmantels in
der Höhle vernommen. Als Christian ihm erzählte, dass der Wagen fahrbereit in der Richtung zum südlichen Talausgang stehe,
stützte Dampignak mit einer heftigen Bewegung den rechten Arm auf. Es sah aus, als wolle er sich sogleich erheben.
Er besann sich aber. Er schwieg und schaute zum Abendstern, und nachher zu der tieferstehenden Mondsichel. Dann senkte er
den Blick bis auf den Grund von Fallende-Wand. Das Feuer brannte noch immer, und der Geschäftsführer saß daneben. Aus der
Schlucht wehte es kalt. Es war ganz
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