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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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konnte.
    Als Pfahlheim nach einer halben Stunde erreicht war, zeigte es sich, dass es tatsächlich nur aus zwei Häusern bestand, ganz
     so wie Großer-Tiger vorausgesagt hatte. Allein die Häuser waren Ruinen, die Umfassungsmauern waren vielfach durchbrochen,
     der Brunnen war versandet, und als Glück zu tuten begann, kam niemand zum Vorschein.
    Christian schaute auf Großer-Tiger, aber Großer-Tiger schwieg und der Wagen fuhr weiter.
    Zwei halbverbrannte Bäume, die die Siedler von Pfahlheim in ein Gärtchen außerhalb der Einfriedung gepflanzt hatten, waren
     noch eine Weile zu sehen. Sie streckten ihre schwarzen Arme hilflos in den Abendhimmel, und sonst war da nichts Lebendes und
     nichts Totes. Es gab nur die leere Hochfläche.
    »Hier kann ein Mensch leicht verlorengehen«, sagte Christian bedrückt.
    Großer-Tiger nickte.
    Glück fuhr gleichmäßig schnell auf der Grasnarbe zwischen der eigentlichen Straße und den Telegrafenpfosten. So gab es nur
     wenig Staub.
    Auch der Wind hatte nachgelassen. Im Norden und im Westen war der Horizont von einer braunen Wolkenbank umlagert, die den
     friedlichen Ausgang des Tages nicht störte; aber für die Nacht verhieß sie nichts Gutes. Die Sonne war gelb, und sie stand
     eine Handbreit hoch über dem Horizont. Als sie in die Wolkenschicht wie in ein weiches Bett sank, tutete Glück, und da waren
     auf einmal Häuser, eine Stadtmauer und ein Tor, durch das der Wagen polternd fuhr.
    »Wir sind in Dschang-Be«, sagte Großer-Tiger.
    Christian faltete die Karte Südliches-Blatt zusammen.
    In Dschang-Be führte eine breite Straße geradewegs vom südlichen zum nördlichen Tor. Bevor man es erreichte, hörten die Häuser
     auf, und es gab einen freien Platz, so groß, als hätte hier ein ganzes Stadtviertel gestanden. Auf diesen Platz lenkte Glück
     den Wagen bis in die Mitte, hielt mit einem Ruck, sprang heraus und rief: »Ihr ehrenwerten Männer, wir sind in großer Eile.«
    »Merkst du es endlich?«, knurrte Grünmantel.
    Er stieg auf der andern Seite aus, betrachtete nacheinander den Himmel, den weißen Mond darin, die Wolkenbank und das Stadttor,
     und zu allem schüttelte er den Kopf. Aber Glück ließ sich die gute Laune nicht verderben. Es schien, dass er umso fröhlicher
     wurde, je mehr Grünmantel sich ärgerte.
    »Ich werde hier allein fertig«, sagte er zu Christian und Großer-Tiger; »es ist euch doch lieber, wenn ihr beisammen seid?«
    »Es ist uns lieber, befehlender Herr«, gab Christian zu.
    »Wir danken für dauernde Güte«, sagte Großer-Tiger.
    »Richtet dem Torhüter aus, er solle bei meinem großen Zorn noch zehn Minuten mit dem Schließen warten.«
    »Wir werden es ausrichten«, sagte Großer-Tiger. »Sollen wir hierher zurückkommen?«
    »Nein, wir treffen uns vor dem Tor. Macht also schnell!«
    Christian und Großer-Tiger liefen über den Platz. Er war glatt wie festgestampfter Lehm, ganz eben und sauber.
    »Hier könnte man   …« rief Christian.
    »…   einen Drachen steigen lassen«, ergänzte Großer-Tiger.
    Er war so schön gelb, dachte Christian; und er stieg so gut, dachte Großer-Tiger. Aber dann fiel ihnen Kleiner-Schneevogel
     ein, der mit seinen Brüdern in Kalgan auf der Straße stand und betteln musste, und Großer-Tiger sagte:
    »Wir wollen den Torhüter gleich nach den Eltern fragen.«
    Vor dem Tor war der Boden mit Kopfsteinen gepflastert, ein niederes Hüttchen stand an die Stadtmauer gelehnt, und an der Wand
     der Hütte hing der große Stadtschlüssel an einem Nagel. Drei Soldaten saßen auf einer Bank, und als sie Christian und Großer-Tiger
     bemerkten, stand einer auf, ging in die Hütte und holte die Gewehre, damit man sah, wie gut sie ihren Dienst verrichteten.
     Auch ein alter Mann war da, aber er hatte kein Gewehr, und er sah friedfertig aus. Die Soldaten trugen die gleiche graue Uniform
     wie überall, und man konnte nicht sogleich erkennen, zu welchem Kriegsvolk und zu welchem General sie gehörten. Dafür hatten
     sie als Kennzeichen breite weiße Armbinden, wo alles genau darauf stand.
    Christian und Großer-Tiger wünschten Bequemlichkeit, Ruhe und einen »Guten Abend«.
    »Ich danke«, sagte der alte Mann.
    »Wir auch«, sagten die Soldaten, »vielen Dank.«
    Der alte Mann stand auf und klopfte sein Pfeifchen auf der Bank aus. Dann wischte er die Asche mit der Hand wieder weg und
     sagte einladend:
    »Nehmt Platz ihr jungen Herren, wir wollen ein bisschen plaudern. – Ihr«, wandte er sich an die Soldaten,

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