Großer-Tiger und Christian
fortkommst!«, knurrte Grünmantel. Er war hinterdem Wagen dreingegangen, schnaufte und warf die lästigen Bremsklötze kurzerhand auf die Straße.
Großer-Tiger hob sie auf und legte sie an ihren Platz auf den Wagen.
»Habt ihr euch verdroschen?«, fragte Glück, als er Christians zerkratztes Gesicht bemerkte.
»Ich bin ungeschickt gewesen, und ich bin gefallen«, sagte Christian.
»Und du bist wohl aus Versehen gegen einen Felsen gerannt?«
»Es war kein Felsen, befehlender Herr«, sagte Großer-Tiger, »es war Holz.«
Glück lachte.
Er wollte etwas über die Gefährlichkeit des Bergsteigens sagen, doch da rief der Wirt vom Straßenrand herüber: »Darf ich mich
von den Exzellenzen und von den jungen Fürsten formlos verabschieden? Es tut mir leid, dass sie die Gastlichkeit meiner geringen
Hütte nicht länger in Anspruch nahmen. Ein andermal, bitte sehr, mich wieder zu beehren.«
»Gewiss, doch«, sagte Glück, »ein andermal, alter Hung-Hu-Tse.«
»Tausend Dank«, riefen Christian und Großer-Tiger.
Grünmantel sagte gar nichts. Er schaute sich nicht einmal um. Der Wirt ging die Straße hinab, viele Male wandte er sich zurück,
und als man ihn schon nicht mehr sah, tönte seine Stimme aus der Tiefe: »Mögen Sie glückliche Tage verleben!«
Die Sonne stand im Westen über den Bergen, hoch genug, um noch eine Stunde zu verweilen und eine blasse Vorstellung von Wärme
zu erwecken. Es hatte sich aber ein kalter Wind aufgemacht, gegen den die Sonnenstrahlen nichts vermochten. Die wenigen zarten
Frühlingsgräser zwischen den Steinen zitterten, und die gebleichten vom Vorjahr legten sich demütig zu Boden. Auf den Tempelstufen
saß Lo-Tjang. Er hatte die Felljacke angezogen, den Knüppel über die Knie gelegt und seinen Zopf frisch geflochten. Er blickte
auf Christian und auf Großer-Tiger; er sah zu, wie Glück um den Wagen ging und die Reifen prüfte, und ganz besonders gab er
auf Grünmantel acht, der zur Eile antrieb.
»Was steht ihr hier herum? Sputet euch! Setzt euch auf eure Plätze!«
»Gestattet, dass wir uns von Lo-Tjang verabschieden«, sagte Christian.
»Von wem?«
»Von dem, der auf der Tempelstufe sitzt«, sagte Großer-Tiger.
»Sitzt da wer? Ach so! Auch so ein Taugenichts. Komm her, du Bursche!«
Lo-Tjang stand auf, legte den Knüppel beiseite und kam die paar Schritte vom Tempel zur Landstraße. Vor Grünmantel blieb er
stehen und verneigte sich stumm.
»Ist das eine Art?«, schrie Grünmantel; »hast du das Reden verlernt?«
»Ich wage nicht, Euch mit Worten zu belästigen.«
»Freilich, freilich! Das Wort ›Danke‹ kommt nicht aus deinem Hals. Habe ich dir nicht diese einträgliche Stelle verschafft,
du Bündel von Mensch?«
»Ich danke Euer Gnaden für den Posten als Schafhirt«, sagte Lo-Tjang, doch es klang wie Hohn.
Grünmantel merkte es und wandte sich ab. Nach einigen Schritten kam er zurück, stellte sich vor Lo-Tjang mit zusammengekniffenen
Brauen und fragte streng: »Ist der Hinkende am Weißen-Stein?«
»Ich habe gehört, er sei fortgezogen.«
»Und ich habe gehört, dass du lügst! Merke dir, das genügt für zwanzig Hiebe mit dem Bambusprügel!«
Damit ließ er Lo-Tjang stehen, ging zum Wagen und setzte sich auf seinen Platz, dass die Federn krachten.
Bevor er die Wagentür zuwarf, rief er laut: »Glück! He, Glück!« Aber Glück war mit einem Stock beschäftigt, den er in den
Benzintank steckte, um nachzuprüfen, wie viel Betriebsstoff noch da sei. »Halte mal den Stock«, sagte er zu Christian, und
dann machte er Bleistiftstriche dahin, wo der Tank oben aufhörte, und dahin, wo der Stock anfing, nass zu werden.
»In Seestadt müssen wir nachfüllen«, sagte Glück.
»Reicht es nicht bis Dschang-Be?«, fragte Großer-Tiger.
»Es reicht auch bis Dschang-Be.«
»Dann bitte ich den befehlenden Herrn, bis Dschang-Be zu fahren. Kwi-Schan wird beim Nachfüllen den Trichter halten, und ich
werde derweil vor das Nordtor gehen und nach den Eltern von Kleiner-Schneevogel fragen. Wir haben es ihm versprochen.«
»Da müssen wir uns aber mächtig eilen«, sagte Glück, »sonst wird es dunkel.«
»Der Mond ist schon ein bisschen da«, bemerkte Christian.
»Er scheint nicht sehr lange, und heute überhaupt nicht«, sagte auf einmal Lo-Tjang, der abseits gestanden hatte und jetzt
näher kam. Er begrüßte Glück mit einem eiligen: »Ich wünsche Ruhe, befehlender Herr«, und dann deutete er auf die Wolkenfahnen,
die mit dem Wind
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