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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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Verbrecher Stockhiebe geben.«
    Bator wurde ängstlich, denn noch nie hatte ihm jemand Stockhiebe gegeben. Er schaute auf den Prinz, doch der Prinz lachtenicht mehr, und es sah ganz so aus, als ob ein peinliches Gericht stattfinden würde. Da kam plötzlich Großer-Tiger, der hinter
     der nächsten Säule des Vordachs gesteckt hatte, gelaufen, und nach ihm kam Christian gerannt, der hinter der übernächsten
     Säule gestanden hatte, und beide beugten artig ihre Knie vor dem Belin-Prinzen und riefen miteinander: »Gerechtigkeit!«
    »Wer ruft hier Gerechtigkeit?«, fragte der Prinz.
    »Wir rufen«, antworteten Christian und Großer-Tiger.
    »Wer seid ihr?«
    »Dieser ist Kompass-Berg, und ich bin Großer-Tiger, und wir haben uns in den Wagen verkrochen, weil   …«
    »Weil es so kalt war«, sagte Christian.
    »Und weil wir dem Gegen einen Fußfall der Verehrung machen wollten«, sagte Großer-Tiger.
    »Deswegen hättet ihr euch nicht verstecken müssen«, bemerkte der Prinz.
    »Manche Leute«, setzte ihm Großer-Tiger auseinander, »brauchen nicht zu wissen, dass wir schon wach sind und herumlaufen.
     Wir sollten nämlich noch schlafen.«
    »Diese Sache scheint schwierig«, sagte der Prinz; »steht auf!«
    »Wir wagen es nicht«, entgegnete Großer-Tiger.
    »Steht trotzdem auf«, befahl der Prinz, »ihr seid höfliche Menschen, das macht vieles wieder gut.«
    »Aber nicht dieses«, rief der Lama, »und schlug sein rotes Gewand empört über die Schulter.
    »Es ist noch nichts entschieden«, erklärte der Prinz. »Wir wissen nicht, wer im Wagen war, einer, oder zwei, oder drei, oder
     am Ende keiner. Wir haben uns jedoch entschlossen, diese Verwicklung sofort zu entwirren. Geht alle an eure Arbeit! Ihr drei
     kommt mit mir!«
    »Wir hören und gehorchen«, sagten Großer-Tiger und Christian.
    »Bolna!«, murmelte Bator für sich, »es wird gewiss schief gehen.«
    »Hast du was gesagt?«, fragte der Prinz; und weil er mongolisch fragte, merkte Bator, dass er gemeint sei.
    »Ich habe gesagt, dass ich Eurer Herrlichkeit dankbar bin.«
    »Wir denken vielmehr«, sagte der Prinz, »dass du ein Schlingel seist.«
    Er öffnete die Tür der Kammer, trat ein, und nach ihm kam Großer-Tiger; dann kam Christian, und zum Schluss Bator. In der
     Kammer war es warm, ein trübes Talglicht brannte, und als der Prinz zur Seite trat, sahen Christian und Großer-Tiger einen
     Kang.
    Bator schlug die Augen nieder, und darum sah er nur ein bisschen schwach beleuchteten Fußboden und sonst nichts. Der Kang
     war mit schönen Teppichen belegt, und auf den Teppichen saß aufrecht und unbeweglich ein sehr alter Mann im roten Lamagewand.
     Sein kahler Kopf war leicht nach vorn geneigt, und durch die Finger glitt die Perlenkette der Andacht.
    »Wie der Nephrit Kaiser in Peking«, flüsterte Großer-Tiger.
    »Nur nicht so dick«, sagte Christian leise.
    Bator, der bisher im Hintergrund gestanden hatte, drängte sich vor und warf sich dem Greis zu Füßen. Da beugten auch Christian
     und Großer-Tiger ihre Knie zum Fußfall der Verehrung. Jolleros-Lama unterbrach sein stummes Gebet; die Perlenkette hörte auf,
     durch die Finger zu gleiten, und es wurde ganz still. »Drei Knaben sind gekommen«, sprach der Belin-Prinz, »sie bitten um
     den Segen für lange Wanderschaft.« Er sprach chinesisch, um dem Gegen anzudeuten, dass Christian und Großer-Tiger das Mongolische
     nicht bekannt sei.
    Jolleros-Lama erhob sich. Er war groß, hager und sehr ernst, und seine Augen waren dunkel. Als er die Hand zum Segen auf die
     verwirrten Knabenköpfe gelegt hatte, sprach er: »Steht auf, meine Kinder!«
    Es klang wie ein Befehl, und Christian und Großer-Tiger folgten sogleich. Nur ein geschwindes: »Wir wagen es nicht«, murmelten
     sie gleichsam als Entschuldigung für das unhöfliche Betragen.
    »Du da«, sagte der Gegen mongolisch zu Bator, »hörst du meine Rede?«
    »Ich höre sie«, antwortete Bator, ohne aufzuschauen.
    »So tu, was ich dir sage. Wir sind allein. Du brauchst meinen Stockmeister nicht zu fürchten.«
    »Es ist gegen jedes Herkommen«, entschuldigte sich Bator und stand auf; doch hielt er den Kopf geneigt, die Augen geschlossen,und die Fäuste legte er wie zum Gruß vor die Brust, damit die schuldige Ehrfurcht nicht noch mehr verletzt werde.
    »Bolna«, sagte Jolleros-Lama lächelnd, »ich tadle deine Beharrlichkeit nicht.« Dann besann er sich und sprach: »Wir wollen
     chinesisch reden, damit jeder das Wort des anderen verstehe.

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