Großer-Tiger und Christian
den Knecht, der im Torhäuschen schlief. Beide kamen
mit Petroleumlaternen wieder, die Hagelkorn vor kurzem in Kalgan gekauft, aber aus Sparsamkeit noch nie verwendet hatte. Sie
liefen an der Hofmauer entlang, und dann blieb Hagelkorn stehen und hob die Laterne, so hoch er konnte.
»Hier!«, rief er laut, damit auch die Mongolen aufmerksamwürden, »hier ist der Dieb über die Mauer gestiegen! Man sieht es ordentlich! Das freche Stück Mensch ist auf meinem guten
Mäuerchen herumgerutscht! Ei ja, man hat mich bestohlen!«
Der Kamelmann war eben mit Füttern fertig geworden. Er horchte zu, was Hagelkorn sagte, und kam herbei. Der Bruder Stockmeister
ordnete die Kissen im Wagen des Gegen, aber er hörte auf damit, als er das Geschrei Hagelkorns vernahm.
»Ich muss nach dem Rechten sehen«, sagte er streng. Und dann kamen auch die Leute aus der Küche.
Sie standen im Halbkreis um Hagelkorn, und sie betrachteten die Hofmauer, wo der Schnee abgefallen war; und wenn sie lange
hinaufgeschaut hatten, schauten sie auf den Boden und studierten die Fußspuren im Schnee, wo Bator aufgesprungen war.
»Ich habe es gleich bemerkt«, sagte Hagelkorn, »das ist ein Glück.«
»Ja, es ist ein Glück«, sagten die Leute aus der Küche, aber sie wussten nicht, weshalb das ein Glück sein sollte.
»Unsinn«, knurrte der Lama, »es sind Fußspuren von einem Menschen, der barfuß ging. Man sieht die Zehen im Schnee abgebildet.«
»Man sieht die Zehen«, wiederholte Hagelkorn nachdenklich, und er blickte heimlich im Kreis umher; aber alle, die da standen,
hatten Schuhe oder Stiefel an.
»Die Zehen werden ihm erfrieren, das ist die Strafe«, sagte der biedere Kamelmann.
Doch damit gab sich Hagelkorn nicht zufrieden. »Ein Dieb«, erklärte er, »klettert über die Hofmauer, weil er etwas stehlen
will. Ich bin also bestohlen worden, das spüre ich deutlich.«
»Irrst du dich nicht?«, fragte der Kamelmann vorsichtig.
»Bis jetzt weiß ich nicht, was mir fehlt«, gab Hagelkorn zu, »aber das wird sich herausstellen, sobald wir den Dieb haben.«
»Man muss ihn sofort suchen«, sagte der Bruder Stockmeister.
»Wo?«, fragte Hagelkorn, und er hob die Laterne wieder in die Höhe.
Der Schein fiel auf Christian, Großer-Tiger und Bator, die aufden Säcken saßen und sich nicht rührten. Das erzürnte Hagelkorn.
»He!«, rief er laut, »ihr sitzt wie die Kraniche im Schatten! Kommt her, es geht auch euch an!«
»Wir sitzen gut hier«, antwortete Großer-Tiger.
»Wir sind nicht neugierig«, sagte Christian.
»Wir ganzer Haufen sehr beleidigt«, erklärte Bator; »wir sagen: Helfen Dieb fangen sofort ausgezeichnet; aber gebietender
Herr Hagelkorn antworten nicht einmal Silbe.«
»Das ist nicht wahr!«, schrie Hagelkorn erbittert; »du wolltest, dass ich das Tor öffne!«
»Mach es auf«, sagte der Belin-Prinz, der aus der Kammer trat, Hagelkorns Geschrei gehört hatte und ärgerlich war, dass schon
wieder was nicht stimmte.
»Mein Fürst«, setzte ihm Hagelkorn auseinander, »das Tor muss geschlossen bleiben, und meine Herberge muss wie ein zugebundener
Sack sein, weil ein Dieb darin steckt, ein Einbrecher sogar.«
»Wie?«, fragte der Prinz, »hören Wir recht?«
Und dann ging er über den Hof, dahin, wo Hagelkorn mit der Laterne stand. Im Vorübergehen klopfte er Bator auf die Schulter,
als ob er sagen wollte: Hast du schon wieder was angestellt? Bator dachte vergnügt bei sich: Ich weiß, was du nicht weißt.
Aber nachher war ihm so, als ob es am Ende anders sein könnte, und er sagte zu Christian und Großer-Tiger: »Wir besser Gerede
der Leute ebenfalls anhören, sonst dunkle Wolken steigen am Himmel etwa.«
»Bolna«, sagte Christian, und sie gingen zu der Versammlung, wo Hagelkorn zum zweiten Mal erzählte, was passiert sei, und
der Lama sagte furchtbar streng: »Man muss den Dieb sofort fangen.«
»Er wird nicht mehr hier sein«, sagte der Prinz.
»Wieso?«, fragte Hagelkorn erschreckt und setzte die Laterne auf den Boden.
»Man kann den Habicht nicht schießen, wenn er weggeflogen ist«, meinte der Prinz; »Diebe machen, dass sie fortkommen, bevor
man sie fängt.«
»Er kann aber nicht«, sagte Hagelkorn, »das Tor ist zu.«
»Er ist über die Mauer eingestiegen, warum sollte er nicht über die Mauer entweichen?«
»Das ist wahr«, rief der Kamelmann, »daran habe ich auch schon gedacht.«
»Hagelkorn, mach das Tor auf!«, befahl der Prinz, »draußen wird man sehen, ob es nur eine
Weitere Kostenlose Bücher