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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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ging. Glück wunderte sich auch. Weil es aber nicht seine Sache war, über die veränderliche
     Gemütsstimmung anderer Leute nachzudenken, setzte er sich an den Tisch, und dann aßen alle von dem guten Reis. Als Hagelkorn
     die frischgelegten Eier brachte, waren es statt sechs nur fünf. Da wollte Grünmantel auf einmal keines haben, und Glück schwor,
     er habe mit einem genug. So kriegten Christian und Großer-Tiger jeder zwei Eier, die sie nacheinander aufklopften und austranken.
    »Es fällt mir ein«, sagte Glück zu Hagelkorn, »ich habe dich heute Nacht schreien hören. War das nicht so?«
    »Ich erinnere mich auch«, bemerkte Grünmantel, »du hast gebrüllt wie ein Drache im Finstern. Ich glaube, ich bin sogar aufgewacht.«
    Hagelkorn seufzte, nahm den Stecken und schürte das Feuer. »Es ist besser, zu schweigen«, sagte er endlich, »damit keine Beschämung
     entsteht.«
    »Nichts da!«, rief Glück.
    »Heraus mit der Sprache!«, rief Grünmantel, »erzähle, weshalb du deine Gäste mit Geschrei erschreckst, wenn sie schlafen wollen!«
    Hagelkorn tat, als ob er sich nur mühsam erinnern könnte. »Es geschah«, sagte er gedehnt, »wie ich hörte, dass Dogolon aufbrechen
     wolle. Da schrie ich laut vor Schreck, denn ich dachte an Eurer Exzellenz Verlust und an die Kamele, die von Rechts wegen
     Euch gehören.«
    »Du hättest mich lieber wecken sollen«, erklärte Grünmantel. Er war mit Essen fertig, stützte den Kopf in die linke Hand und
     spielte mit der Rechten in seiner Rocktasche mit Steinchen oder mit kleinen Kugeln. Wenn sie aneinanderschlugen, schaute er
     vergnügt auf Glück, der tüchtig aß und genau so guter Laune war wie er.
    »Wie hätte ich Euch wecken können?«, sagte Hagelkorn weinerlich; »mein Schreck war derart, dass ich umfiel wie ein Flaschenkürbis.
     Als ich sterbend am Boden lag, stampfte man mir ins Gesicht, und man trat meine Rippen in viele Stücke.«
    »Wir bitten um Vergebung«, sagte Christian leise und aß den guten Reis tapfer weiter.
    Großer-Tiger legte die Essstäbchen beiseite, stand auf und verbeugte sich kurz: »Es geschah durch unverschuldete Eile. Wir
     bitten um gütige Nachsicht.«
    Während er sich wieder setzte, fiel Grünmantel eines der Steinchen, mit denen er spielte, aus der Rocktasche. Das Ding blinkte
     metallisch, und Großer-Tiger stellte geschwind den Fuß darauf, damit er es später aufheben könnte.
    »Hagelkorn«, sagte Glück, »du siehst, diese zwei Buben sind höfliche Menschen. Was können sie dafür, wenn du umfällst und
     deine Leiche liegt im Finstern herum? Man stolpert leicht über so was.«
    »Die Ehrfurcht vor dem Alter schwindet«, erwiderte Hagelkorn, »das ist es, was ich darüber zu sagen habe.«
    Als alle gegessen hatten, verlangte Glück zwei Kannen heißes Wasser. Christian stand geschwind auf, um ihm tragen zu helfen,
     und Großer-Tiger ließ in der Eile die Essstäbchen fallen. Er bückte sich, um sie aufzuheben, und dabei langte er nach dem
     Steinchen unter seinem Fuß. Es war aber kein Steinchen, sondern ein walzenförmiges Ding aus Messing mit einer abgerundeten
     Spitze. Großer-Tiger steckte es ein, und dann half er mit Christian beim Einfüllen des heißen Wassers in den Kühler.
    »Wie heißt der Ort, wohin wir heute fahren?«, fragte Christian. »Er heißt gar nicht«, erwiderte Glück, »wir fahren, bis die
     Sonne untergeht, und weiter fahren wir nicht.«
    »Aber es gibt doch Orte, die einen Namen haben, oder Brunnen, die nicht nur Brunnen heißen, und vielleicht gibt es auch Berge,
     die man anders nennt als bloß Berg.«
    »Ja«, sagte Glück, »das gibt es haufenweise. Die Namen fallen mir aber erst ein, wenn ich sehe, wo ich bin. Halt einmal! Es
     gibt einen Brunnen, der heißt Amün-Ossu, aber den sehen wir nicht, weil wir vorher abbiegen. Und dann gibt es den Beien-Obo,
     den sehen wir, weil er ein Berg ist; aber wir lassen ihn links liegen, und es ist besser, von alledem nicht zu sprechen, sonst
     fallen die Speichen von den Rädern, oder es passiert sonst was.– Warum fragst du danach?«
    »Weil ich eine Karte habe«, gestand Christian. »Der General hat sie mir geschenkt.«
    »Karten taugen nicht«, behauptete Glück. »Es ist am besten, du wirfst sie weg. Zum Beispiel, du suchst einen Brunnen, und
     der Name steht großmächtig auf dem Papier. Du findest den Brunnen aber nicht, weil es ihn nicht mehr gibt, und es gibt ihn
     nicht mehr, weil er versandet ist. Da stehst du in der Wüste und hast Durst,

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