Großer-Tiger und Christian
»wünschen dem befehlenden Herrn zu dienen.« Er sprang vom Wagen, und Großer-Tiger sprang
hinterdrein.
»Hier sind wir«, sagte Großer-Tiger.
»Wir sind da«, sagte Christian.
Glück hielt einen Korb in der Hand, der nicht gerade sauber war. »Ich muss euch dies und das sagen«, erklärte er; »seht euch
um.«
»Der Schnee ist fort!«, rief Christian erstaunt.
»Mittag ist vorüber«, setzte ihnen Glück auseinander, »und wir sind in der Mongolei. Die Sonne scheint, der Schnee ist weggetaut,
und wir wollen etwas essen.«
»Ja«, rief Christian, »das wollen wir tun!«
»Dazu brauchen wir ein Feuer«, fuhr Glück fort, »und damit es brennt, brauchen wir Argal.«
»Was ist das, befehlender Herr?«, fragte Großer-Tiger.
»Argal ist trockener Mist, und ihr müsst welchen suchen. Nehmt aber nur Kamelmist, der brennt am besten, und ja keinen frischen!
– Hier«, und dabei zeigte er in den Korb, »ist eine Probe. Schaut euch das an, und in zehn Minuten muss der Korb voll sein.
Zieht eure Mäntel aus, schnell, schnell! Kwai, kwai!«
Christian und Großer-Tiger beeilten sich. Sie warfen die Mäntel auf den Wagen und nahmen den Korb, in dem hübsche runde Bällchen
lagen, die ganz leicht und trocken waren.
»Beim Brunnen gibt es am meisten!«, rief ihnen Glück nach.
»Ich habe das auch schon gehört«, sagte Christian.
»Dort ist der Mist am trockensten«, sagte Großer-Tiger.
Sie hätten zwar gerne gefragt, wo es hier einen Brunnen gebe, denn Christian sah ihn nicht, und Großer-Tiger wusste auch nicht,
wo er war. Aber da sie nun einmal Prärie- und Wüstenreisende waren, stapften sie drauflos. Der Wagen stand in einer flachen
Senke. Ringsherum gab es niedere Hügel mit verblichenem Steppengras, aber es gab keinen einzigen Baum. Im Westen schaute die
runde Kuppe eines Berges über den flimmernden Horizont. Von dort liefen mehrere Trampelpfade durch das gelbe Gras und trafen
sich an einem hellen Fleck ungefähr in der Mitte der Senke.
»Wahrscheinlich ist das der Brunnen«, sagte Christian.
»Was?«, fragte Großer-Tiger.
»Ich meine den hellen Fleck, wo kein Gras wächst.«
»Ach so«, sagte Großer-Tiger. Dann steuerten sie in diese Richtung, und wenn sie unterwegs Kamelmist fanden, hoben sie ihn
sorgsam auf und probierten, ob er auch trocken sei.
»Man merkt es am Gewicht«, sagte Christian.
Als sie sich dem hellen Fleck näherten, kam über die Hügelwelle im Westen ein Reiter auf einem Kamel, dem ein zweites folgte,
das auf jeder Seite ein Wasserfass trug. Man sah, dass die Fässer leer waren, denn sie schaukelten hin und her. Der Mann trieb
die Kamele zur Eile an, und so traf er mit Christian und Großer-Tiger zusammen, gerade als Christian das Brunnenloch entdeckte
und »Hier ist der Brunnen!« rief.
»Es gibt noch einen«, sagte der Mann und deutete mit dem Reitstock auf ein zweites Wasserloch in geringer Entfernung, neben
dem ein langer hölzerner Trog aufgestellt war.
Der Mann sprang aus dem Sattel. Er trug einen blauen Mantel, der ihm bis auf die Stiefelspitzen reichte. Statt eines Gürtels
hatte er eine dunkelrote Seidenschärpe um den Bauch gewickelt, an der eine gestickte Tasche und ein Messer mit einem Silbergriff
hing. Auf dem Kopf trug er einen spitzen Seidenhut, der auch dunkelrot war; aber das sah man nicht, denn rings um den Hut
lief ein Fuchsfell, unter dem das kupferbraune mongolische Gesicht freundlich grinste.
Christian und Großer-Tiger verneigten sich stumm.
»Amorchen beino?«, grüßte der Fremde.
»Bolna«, antwortete Christian. – Da lachte der Mongole. »Ich merke«, sagte er, »mit euch muss ich chinesisch reden.«
»Es ist besser«, gab Großer-Tiger zu.
»Ihr habt Glück gehabt, dass ihr mich trefft«, sagte der Mongole, »hierherum sprechen wenige Stück Menschen chinesisch. Ihr
solltet Mongolisch lernen.«
»Wir möchten es gerne tun«, sagte Großer-Tiger.
»Wir wissen nur nicht, wie man es anstellt«, sagte Christian.
»Es ist einfach«, erklärte ihnen der Mann; »ihr müsst fragen: ›Ene ju beino?‹ Wenn ihr so fragt, sagt euch jeder, den ihr
trefft, was ihr wissen wollt.«
»Was heißt ›Ene ju beino‹?«, fragte Christian.
»›Ene ju beino‹ heißt ›Was ist dieses?‹«
»Aha!«, sagte Christian.
Großer-Tiger sagte auch: »Aha!«, und dann deutete er gleich auf das Brunnenloch und fragte: »Ene ju beino?«
»Hotog«, erwiderte der Mann.
»Hotog« wiederholten Christian und Großer-Tiger, und
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