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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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Während Christian und Großer-Tiger lange
     auf ihren Plätzen waren, saß er immer noch auf dem gleichen Fleck, dachte nach und tat unbeteiligt wie ein Fremder. Endlich,
     als Glück schon auf den Gashebel trat, stieg er ein. Gesprochen wurde kein Wort, und Christian und Großer-Tiger sagten auch
     nichts, bis Grünmantel die Tür zuwarf und der Wagen in Gang kam. Als die Fässer leise klirrten und die Blechkannen aneinanderschlugen,
     fragte Christian Großer-Tiger, ob sie nicht besser getan hätten, Glück zu sagen, dass der Mann mit der Narbe Mondschein gewesen
     war, den man Pfötchen nannte.
    »Nein«, entschied Großer-Tiger, »wir haben Mondschein Stillschweigen versprochen.«
    »Aber wenn er ein Räuber ist?«
    »Räuber sein ist ein ehrenwerter Beruf«, sagte Großer-Tiger, »und Ehrenmännern muss man Wort halten. Zudem hat Glück Geheimnisse
     vor uns. Warum sollten wir nicht auch Geheimnisse vor Glück haben? Wir wollen warten; im Warten liegt Heil.«
    »Sagt das dein Lehrer?«
    »Nein, das sagt mein Großvater. Er sagte auch oft: ›Jugendtorheit ist rasch, sie bringt Durcheinander.‹«
    »Meine Ama sagte anders«, warf Christian ein; »sie schüttelte vielmal den Kopf, wenn sie mich sah, und sie sprach: ›Kindliche
     Torheit hat Gelingen.‹«
    »Das ist längst vorüber«, widersprach Großer-Tiger ernst, »jetzt sind wir Männer. Wir müssen tun, was Männern zu tun geziemt.«
    »Geziemt es uns da, Grünmantel totzuschlagen?«
    »Vielleicht. Bator hat auch gemeint, es wäre notwendig.«
    »Ich kann es aber nicht tun.«
    »Ich auch nicht«, gab Großer-Tiger freimütig zu.
    »Also«, seufzte Christian, »müssen wir Grünmantel leben lassen.«
    »Der Weg«, setzte ihm Großer-Tiger auseinander, »geht hin und her. Mein Großvater sagt, das sei der Gang des Himmels.«
    Christian seufzte noch einmal, weil er nicht verstand, was Großer-Tiger meinte, und Großer-Tiger war froh, dass Christian
     nicht weiter fragte, denn er wusste selbst nicht, was es mit dem Gang des Himmels auf sich hatte.
    Mittlerweile war Glück um den Hügel gefahren, auf dem die Häuser des Wang mit den gelbglasierten Ziegeldächern standen. Die
     Dächer blitzten in der Sonne; aber mehr sah man nicht, denn die Entfernung war groß, und die erwärmte Luft schwebte auf und
     nieder wie an einem heißen Sommertag. Kein Mensch zeigte sich, und Christian vermutete, es gehöre zu den vornehmsten Aufgaben
     eines mongolischen Königs, in seinem Palast zu sitzen und aufzupassen, dass die Untertanen auch irgendwo säßen und nichts
     anderes täten, als allenfalls über den Lauf der Welt nachzudenken.
    Die runde Bergkuppe im Westen kam näher, und auf einmal war sie gar nicht mehr so hoch. Das kam, weil die Steppe langsam anstieg.
     Bald darauf fiel sie in ein breit ausladendes Tal ebenso sanft wieder ab. Da wurde der Berg wieder mächtig, und Christian
     und Großer-Tiger, die ihn noch lange vor Augen hatten, betrachteten das steinerne Mal auf dem Gipfel, in dem eine Stange mit
     blassen Wimpeln steckte.
    »Das ist der Berg Beien-Obo«, sagte Christian, der das Südliche-Blatt studierte. »Aber jetzt ist die Karte weiß, und es kommt
     lange nichts mehr, was einen Namen hat.«
    »Es wird schon so sein, wie Glück sagt«, meinte Großer-Tiger: »so eine Karte taugt nicht.«
    »Der General«, widersprach Christian, »hätte uns die Karte nicht gegeben, wenn sie unnütz wäre.«
    Diesem Einwand war Großer-Tiger nicht gewachsen, doch seinVertrauen war durch die Voreingenommenheit Glücks geschwunden. »Wie kann«, sagte er, »das Südliche-Blatt weiß sein, wenn hier
     ein Flussbett ist? Es ist zwar kein Wasser und auch sonst nichts darin als viele Steine, aber am Rand gibt es grüne Büsche,
     und vielleicht leben hier sogar Tiere.«
    »Ja«, rief Christian aufgeregt, »siehst du, wie sie hopp, hopp machen und fortspringen?«
    Er zeigte auf ein Rudel aufgescheuchter Antilopen, die aus dem immergrünen Schara-Mot-Gestrüpp flüchteten. Sie sprangen aber
     nicht einfach fort, sondern rannten in langen Sätzen und in geringer Entfernung wie geübte Wettläufer neben dem Wagen her.
     Glück fuhr gewaltig drauflos, doch es war von vornherein ein aussichtsloses Rennen für den plumpen Lastwagen. Die Antilopen
     überholten ihn spielend und wechselten dann mit hohen Luftsprüngen auf die andere Seite. Dort blieben sie stehen, schauten
     verwundert, und einige begannen ruhig zu äsen. Die Flucht war beendet, der Wagen war überholt; anscheinend

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