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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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hatte man es mit
     keinem gefährlichen Gegner zu tun.
    »Du siehst«, sagte Großer-Tiger, »es gibt hier Tiere, aber in dem Südlichen-Blatt ist nichts davon zu lesen.«
    »Auf Landkarten stehen keine Tiere«, verteidigte sich Christian. »Weißt du, wie die da heißen?«
    »Es sind Gelbe-Ziegen; ich kenne sie von Bildern.«
    »Sie heißen auch Antilopen«, erinnerte sich Christian; »aber es ist ein schwieriges Wort, von dem man nie weiß, ob man es
     richtig oder falsch schreibt. Gelbe-Ziegen ist besser.«
    »Wo Gelbe-Ziegen sind, gibt es auch Wölfe«, behauptete Großer-Tiger.
    »Ich möchte mal einen Wolf sehen«, sagte Christian.
    »Aber besser nicht in der Nähe«, meinte Großer-Tiger.
    »Vielleicht wenn man auf einem Baum sitzt und der Wolf geht unten vorbei.«
    »Er kann«, sagte Großer-Tiger, »nicht unten vorbeigehen, wenn es oben keinen Baum gibt.«
    »Gibt es hier nirgends Bäume?«
    »Ich glaube, es gibt keine. Seit ›Heim in den Felsen‹ habe ich nie mehr einen Baum gesehen.«
    »In diesem Fall«, schlug Christian vor, »ist es am besten, der Wolf geht vorbei, solange wir auf dem Wagen sitzen.«
    »Das wird er nicht tun. Wölfe schleichen hinter Hügeln herum und in Lössrawinen, wo du sie nicht siehst. Gehst du aber hinter
     den Hügel, weil du den Wolf sehen willst, dann ist er auf die andere Seite gegangen, wo du vorher warst, und das macht er,
     weil er nicht sehr mutig ist.«
    Christian wunderte sich, woher Großer-Tiger so viel vom Wolf wusste, und Großer-Tiger sagte, das sei leicht zu begreifen.
     Er habe einen entfernten Onkel, der sei Fellhändler, und der wisse von allen Tieren, was sie täten und wo sie lebten; und
     früher habe es in China überall Tiger gegeben, aber jetzt seien alle tot, und den wilden Kamelen gehe es ähnlich. Es gebe
     nur noch ganz wenige in der Nähe des Sees, von dem Mondschein gesprochen habe.
    »Beim Gaschu-Nor!«, sagte Christian und holte aus der Ledertasche ein Heft, das darin war, und einen Bleistift. Den Bleistift
     spitzte er sorgfältig mit dem neuen Taschenmesser, bis er ganz fein damit schreiben konnte.
    »Was willst du tun?«, fragte Großer-Tiger.
    »Ich mache ein Wörterbuch«, erklärte Christian, »damit ich Mongolisch lernen kann.« Er faltete eine Anzahl Blätter in der
     Mitte, und dann schrieb er
    auf die eine Hälfte:

auf die andere Hälfte:
Bittersee
=
Gaschu-Nor
darunter schrieb er:
Reitstock
=
Daschior
Kamel
=
Temmen
König
=
Wang
    Er las Großer-Tiger vor, was er geschrieben hatte, und fragte ihn, ob etwas fehle.
    »Du hast ›Hotog‹ vergessen«, erinnerte Großer-Tiger.
    Da schrieb Christian gehorsam in das Heft:
    Brunnenloch
=
Hotog

    Und dann sagte er fröhlich: »Nun wissen wir schon viele Wörter. Wenn es hundert sind, fangen wir an zu reden, mit dreihundert
     unterhalten wir uns, und wenn wir fünfhundert Wörterkönnen, dann geben wir andern Nachhilfestunden, die weniger wissen als wir.«
    Während sich Christian und Großer-Tiger über diese wichtigen Dinge unterhielten, fuhr Glück wortlos durch die Steppe und achtete
     auf die Sonne wegen der westlichen Richtung und auf den Boden wegen der Löcher, die die Murmeltiere und die Füchse machten.
     Aber es gab nur wenige. Als es Abend wurde, hörten sie ganz auf, und Glück erkannte, dass er nicht weit von einem Kloster
     war, das Orte-Golen-Sum hieß.
    »Weshalb fährst du auf einmal so schnell?«, fragte Grünmantel.
    »Weil es bald Nacht sein wird.«
    Grünmantel wollte zornig erwidern, dass er das auch bemerke, aber er unterdrückte den Zorn und fragte freundlich, ob Glück
     vielleicht wisse, wo er sich befinde und was für eine Gegend das sei.
    »Es gibt hier«, sagte Glück geschmeichelt, »ein Kloster, und in zehn Minuten sind wir dort. Das Kloster ist klein, aber es
     hat zwei gute Brunnen, einen lebenden Gott, der noch ganz klein ist, und freundliche Mönche.«
    »Freilich, freilich«, brummte Grünmantel beifällig und unterdrückte wieder, was er sagen wollte, nämlich dass Glück ein alter
     Hung-Hu-Tse sei und dass es deshalb kein Wunder wäre, wenn er sich in der Mongolei besser auskenne als andere Leute, und dass
     er sich nichts darauf einzubilden brauche; im Gegenteil. Das alles hätte Grünmantel gerne gesagt, und es fiel ihm ordentlich
     schwer, so viele passende Worte für sich zu behalten. Allein er hatte einen neuen Plan ausgedacht, den er für gut hielt, und
     darum schwieg er still.
    »Lass das dumme Grinsen«, sagte der ahnungslose Glück, »du wirst

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