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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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gleich sehen, dass ich recht habe.«
    Grünmantel erwiderte, dass er nicht daran zweifle, und dass er Glück sowieso bewundere, weil er so viel wisse.
    Im Westen schwebte die Sonne über den Zackenrändern ferner Berge. Sie war groß und rot wie eine feurige Kugel, die über eine
     Welt rollte, von der man nicht glauben konnte, dass sie schon fertig sei. Es gab Bodenwellen und niedere Hügel, die aussahen,
     als ob sie morgen ebenso gut irgendwo anders seinkönnten. Risse zogen durch die Erde, von denen man nicht sicher war, ob sie sich nicht über Nacht schließen würden, um tausend
     Meilen weiter aufzubrechen. Der magere Graswuchs erschien als der sinnlose Versuch, Leben in eine Gegend zu bringen, die kein
     Leben duldete. Wahrscheinlich war morgen das Gras verdorrt, und man erwachte zwischen Blöcken von Urgestein und rieselndem
     Sand, wenn es überhaupt ein Erwachen gab.
    Es war gut, dass Glück die Sache anders ansah. Für ihn war der Boden verlässlich fest, und die Steppe war eine Rennbahn, über
     die man fuhr. Er machte tüt, tüt, tüt, tüt, und das hieß: »Habe ich recht gehabt? – Glück ist tüchtig, Glück kennt sich aus;
     wir sind da.«
    Christian und Großer-Tiger standen neugierig auf und schauten durch das Fensterchen im Führerhaus. Da sahen sie eine graue
     Berglehne und darunter auf halber Höhe zehn oder zwölf weiße Häuser mit flachen Dächern und mit roten Kanten. Die Häuser waren
     ebenerdig mit Ausnahme von einem, das in der Mitte stand und die andern überragte. In der Einöde sah es aus wie ein Leithammel
     mit weißen Schafen, die sich fürchteten.
    »Es sind auch Zelte da!«, rief Christian.
    »Und neben den Zelten stehen viele Pferde!«, sagte Großer-Tiger, »und sie schlagen mit den Schweifen.«
    Kaum hatte Großer-Tiger ausgesprochen, als Glück aufhörte zu tuten. Er hatte die blauen Zelte und die Pferde auch bemerkt
     und wusste nicht recht, was er davon zu halten hatte. Darum fuhr er nicht mehr schnell.
    Der Wagen rollte zögernd und immer langsamer über die ausgedehnte Kiesfläche. Wäre ein Zuschauer dagewesen, so hätte er gesagt:
     Dieses Ungetüm, das von selber geht, ist unschlüssig, wohin es sich wenden soll. Es zerstampft die Gräser gewaltig, aber es
     hat Angst und möchte stehen bleiben; es weiß nur nicht wo.
    Das kam daher, weil Glück nur mit einer Hand das Steuer hielt und sich mit der andern den Kopf kratzte. Bis zum Kloster waren
     es nicht viel mehr als fünfhundert Meter; aber Glück hatte plötzlich keine Lust, bei den freundlichen Mönchen zuübernachten. Er begann im Stillen, die blauen Wanderzelte zu zählen, und als er sechzehn herausgebracht hatte, machte er einen
     raschen Überschlag: Sechzehn kleine Zelte beherbergten hundertfünfzig Männer, auch wenn man einen Fürsten und zwei oder drei
     Adlige mitrechnete, die ein Zelt für sich hatten. Glück war sicher, dass es Sunit-Mongolen waren, mit denen er nie etwas zu
     tun gehabt hatte. Aber war dieser Kerl mit dem kupferbraunen Gesicht heute Mittag nicht doch Pfötchen gewesen? Und wenn er
     es gewesen war, wie kam er hierher nach Sunit?
    Glück schaute zum Seitenfenster hinaus.
    Links war die graue Kiesebene, geradeaus war sie auch, und dann kam die Berglehne mit dem Kloster und in einigem Abstand die
     Zelte mit den schweifschlagenden Pferden. Auch einige Männer konnte man erkennen, die hin- und hergingen, oder stehen blieben,
     weil sie den Wagen bemerkt hatten. Rechts gab es eine sanfte Anhöhe mit schütterem Graswuchs, und oben entdeckte Glück eine
     Jurte. Gleich drehte er das Steuerrad.
    Christian und Großer-Tiger wären beinahe umgefallen, so hart war die Wendung. Dann ging es rasch das kurze Stück bergauf,
     und der Wagen stand.
    Christian sprang herunter, und Großer-Tiger sprang hinterdrein, ganz so wie sie Bator hatten springen sehen. Sie standen schon
     neben dem Schlag, als Glück noch im Führerhaus saß, den linken Arm halb zum Fenster heraushängen ließ und in die untergehende
     Sonne starrte.
    »Gibt es was zu bedenken, befehlender Herr?«, fragte Großer-Tiger bescheiden.
    »Es gibt vieles zu bedenken«, antwortete Glück, »aber in der Mongolei kann man sich nichts vornehmen; es kommt, wie es kommen
     muss. Wollt ihr Wasser holen?«
    »Wir wollen Wasser holen«, rief Christian. »Hat dieser Ort einen Namen?«
    »Dieses ist kein Ort«, sagte Glück, »es ist ein Kloster, und heißt Orte-Golen-Sum.«
    »Und die vielen Zelte?«
    »Die Zelte«, ließ sich plötzlich

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