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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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er das gesagt hatte, stand Grünmantel auf, strich den schwarzen herabhängenden Bart, dass die Spitzen ganz spitz wurden,
     und dann ging er zum Wagen, wo er sich auf einen Stein in die Sonne setzte.
    Glück schwieg grimmig. Er war fröhlich gewesen; aber das ging jetzt nicht mehr, denn er musste nachdenken. »Hört einmal«,
     sagte er, »ihr habt doch vorhin mit dem Mongolen über dies und das gesprochen. Hat er euch gesagt, wie er heißt?«
    »Wenn ihr den meint«, begann Großer-Tiger vorsichtig, »mit dem wir hierher gekommen sind, der hatte eine breite Narbe quer
     über der Stirn wie von einem Säbelhieb.«
    »So«, sagte Glück verwundert, »ich habe nichts derart bemerkt.« »Man sieht die Narbe nicht gleich«, erklärte Christian, »nur
     wenn er sich am Kopf kratzt, oder wenn der Hut verrutscht.«
    »Dann ist er es nicht«, sagte Glück. »Trotzdem aber wäre es gut, wenn ich seinen Namen wüsste.«
    »Haben Mongolen Namen wie wir?«, erkundigte sich Großer-Tiger höflich.
    »Nein«, setzte ihm Glück auseinander, »sie haben keine Familiennamen wie wir. Sie haben nur einen Namen, den sie bald nach
     der Geburt kriegen. Aber er nützt ihnen nicht viel. Die meisten Mongolen laufen mit einem Spitznamen herum, den ihnen andere
     Leute angehängt haben. Schließlich weiß das Stück Mensch selbst kaum mehr, wie es eigentlich heißt. Es weiß nur noch seinen
     Spitznamen.«
    »Aha«, sagte Christian, »da hat also jeder Mongole doch zwei Namen, einen richtigen und einen anderen.«
    »Beinah jeder«, bestätigte Glück oder wenigstens sehr viele. Ich habe mal einen gekannt, der hieß Mondschein. Er war stolz
     auf seinen Namen, und er sagte jedem, der es wissen wollte oder nicht wissen wollte, dass er Mondschein hieße. Aber da war
     keine Hilfe. Die Menschen nannten ihn deshalb noch lange nicht Mondschein. Sie nannten ihn Pfötchen.«
    »Ist«, fragte Christian, »der Herr Mondschein unzufrieden damit? Das heißt   … ich meine ja nur   … ich möchte wissen, warum man ihn Pfötchen nennt.«
    »Das ist eine alberne Geschichte«, antwortete Glück. »Dieser Mondschein, müsst ihr wissen, macht gern Spaß wie alle Mongolen.
     Wenn ihm aber was passiert, worüber die Leute lachen, dreht er es herum, und dann ist es auf einmal ehrenvoll für ihn. Im
     Winter vor ein paar Jahren war er nachts mit Kamelen unterwegs. Weil ihn an die Füße fror, stieg er ein Weilchen aus dem Sattel
     und trottete hinterdrein. Da gab es einen Aufenthalt, und der ganze Zug blieb stehen. Nur Mondschein marschierte im Halbschlaf
     weiter und rannte richtig von hinten gegen das letzte Kamel, das sofort ausschlug und Freund Mondschein derart vor die Brust
     traf, dass er gar nicht erst aufwachte. Zwei andere Mongolen, die ihn umfallen sahen, kamen herbei und brachten ihn wieder
     zu sich.
    ›Was ist los?‹ fragte Mondschein, ›warum liege ich hier und blicke in den Mond?‹ ›Das Kamel hat dich getreten‹, wurde ihm
     berichtet, ›darum schaust du in den Mond.‹ ›Ach, ich erinnere mich‹, sagte Mondschein, ›das gute Tier wollte mir Pfötchen
     geben.‹
    Seither nennt man ihn Pfötchen statt Mondschein, aber er hört es nicht gern; und überhaupt ist es besser, man begegnet ihm
     nicht.«
    »Warum ist es besser?«, wollte Christian wissen.
    »War er es am Ende doch   …?«, fragte Glück dagegen und fixierte Christian scharf.
    »Wer?«, tat Großer-Tiger verwundert, »der Mongole mit der Narbe etwa?«
    »Ach so! erinnerte sich Glück, »ich vergaß die Narbe. Wenn er die nicht hätte, würde ich glauben, es wäre Mondschein gewesen,
     der hier war. Nun, man kann sich irren.«
    »Man kann sich sehr leicht irren«, gab Großer-Tiger zu.
    »Ihr seid vernünftige Jungen«, sagte Glück, »mit euch lassen sich zwei verständige Worte reden; darum will ich euch sagen,
     es ist ja kein Geheimnis, also dieser Mondschein nämlich, von dem ich rede, ist ein richtiggehender Räuber. Versteht ihr?«
    »Wir verstehen«, sagte Großer-Tiger.
    »Möchte der befehlende Herr Glück«, bat Christian, »uns nicht ein bisschen von ihm erzählen?«
    »Jetzt ist nicht die richtige Zeit. Los, wir wollen einpacken!«
    »Schade«, sagte Christian.
    »Sobald wir an den Edsin-Gol kommen, kannst du mich daran erinnern«, sagte Glück, »da machen wir einen Tag Rast, und ich werde
     euch von Mondschein erzählen.«
    »Wir werden daran denken«, versicherte Christian.
    Die Fahrt ging weiter. Grünmantel hatte bis zuletzt mit dem Einsteigen gewartet.

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