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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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ersten Eimer hinunter. Die Mongolen schauten zu, stießen sich an und lachten. Christian wusste
     nicht, warum, aber er merkte es bald, denn die Kette klirrte am Boden und als er den Kübel heraufziehen wollte, war er leer.
    »Nasch-jirr!«, rief einer der Mongolen, und er winkte Christian und Großer-Tiger, sie sollten bei ihm Wasser holen. Er ließ
     auch gleich eine lange Stange mit einem Leinensack daran in den Brunnen. Als er ihn heraufgezogen hatte, goss er das Wasser
     in die Eimer.
    »Sie sind voll«, sagte Großer-Tiger artig, »und wir danken.«
    »Bolna!«, rief Christian fröhlich.
    Diesmal passte das Wort vortrefflich, denn es hieß »Gut so« oder »Jetzt ist es recht.« Darüber freuten sich die Mongolen.
     Einer nach dem andern kam und fragte lange und schöne Fragen, aber Christian gab keine Antwort. Da klopften ihm die Mongolen
     zutraulich auf die Schultern und sagten, er sei wohl ein bisschen schüchtern, und das solle er nicht sein. Doch Christian
     blieb stumm, und die Mongolen merkten, dass er nicht fließend sprechen konnte. Die Unterhaltung stockte, und beinahe hätte
     sie ganz aufgehört, wenn Christian nicht eingefallen wäre, dass er ein neues Wort gelernt hatte. Er fasste sich ein Herz und
     sagte deutlich: »Baron-Sunit-Wang.«
    Die Wirkung, die das machte, war groß. Ob sie gut oder schlecht war, konnte man freilich nicht gleich erkennen, denn die Mongolen
     steckten die Köpfe zusammen und redeten eine ganze Zeitlang unter sich. Endlich kam der, der das Wasser geschöpfthatte, fasste Großer-Tiger und Christian freundschaftlich am Ohr und sagte wie schon einmal: »Nasch-jirr!«
    Christian antwortete: »Bolna!« und dann folgten sie dem Mongolen, der mit ihnen zum Zeltlager ging. Die übrigen blieben bei
     den Pferden.
    Unterwegs nahm ihnen der Mongole die schweren Wasserkübel ab, und Großer-Tiger, der einen schlechten Ausgang des Abenteuers
     befürchtete, fasste wieder Mut. Er schaute zum Mond, dem gewaltigen Tröster der Seelen, und da war ihm, als ob nur noch ein
     gewisses Wort fehle, und alles wäre gut.
    »Kwi-Schan«, flüsterte er, »ich muss dir etwas sagen.«
    »Ich höre dich, Großer-Tiger, sprich!«
    »Es gibt keine Hilfe«, sagte Großer-Tiger und lächelte.
    Da wurde auch Christian fröhlich zumut, und dann standen sie vor dem ersten Zelt in der ersten Reihe der sechzehn Zelte, die
     alle blau waren, doch man sah die blaue Farbe nicht. In dem schwachen Mondlicht erschienen die Zelte schwarz wie eine Schar
     Trauerfalter, die auf dem hellen Kiesboden mit ausgebreiteten Flügeln hockte, um die Nacht zu überdauern.
    Der Mongole setzte die Wasserkübel auf die Erde, bedeutete Christian und Großer-Tiger zu warten, und dann trat er in das Zelt,
     in dem ein Feuer brannte. Es dauerte gar nicht lang, da kam er wieder, grinste freundlich und sagte etwas Ähnliches wie eine
     Einladung.
    Christian und Großer-Tiger fassten sich an der Hand und betraten gemeinsam das Zelt. Es war klein, aber es war hell und freundlich
     darin, denn das blaue Zelttuch war nur außen blau. Innen war es weiß gefüttert, und das machte viel aus. In der Mitte zwischen
     den beiden Zeltstangen brannte ein Feuer in einem runden Eisengestell, auf dem der Teekessel brodelte. Rechts und links lagen
     Teppiche; im Hintergrund saßen zwei Männer mit Fellhüten auf dem Kopf, wie Mondschein einen gehabt hatte, nur waren sie prächtiger.
    Christian und Großer-Tiger taten, was Glück ihnen geraten hatte zu tun: sie machten schweigend den Fußfall der Verehrung und
     sagten leise: »Wir wünschen zehntausendfaches Glück.«
    Hernach schauten sie auf die beiden Männer, und Christian dachte gleich, der ältere müsse der König sein, denn er sah sehr
     würdig aus. Doch dann verfinsterte sich das Gesicht des älteren, das vorher freundlich gewesen war, und Christian wünschte
     schnell, es wäre anders und der jüngere wäre der König, denn der lächelte verschmitzt und blinzelte sogar ein bisschen. Aber
     er sagte kein Wort. Da war es gewiss, dass der alte böse Mann der König war, und das schien besonders schlimm für Christian
     zu sein, weil er ihn in einem fort zornig anblickte. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Zorn des alten Mannes so groß wurde,
     dass er grollend rief: »Geht beide hinaus!«
    »Nein«, widersprach der jüngere im schönen Peking-Chinesisch, »diese beiden sind unschuldige Jungen; sie sind nur unerfahren.
     Ich denke, sie sind gute Personen.«
    Dann wandte er sich an Christian

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