Großstadt-Dschungel
Bilanzierung meines ersten Dates. Nur kleinere. Wir bewegen uns auf der Skala quasi zwischen perfekt und fast perfekt.
Er öffnet mir die Tür seines Wagens – ein dunkelblauer BMW. Mmm. Der leckere Duft nach teuren Ledersitzen. Das ist gut.
„Ist Dave Matthews okay?“ fragt er mit Blick auf den CD-Player.
Alles wäre okay. „Ich liebe Dave“, sage ich.
„Ich auch“, erwidert er. „Bist du ein echter oder ein Ich-mag-das-Lied-‚Crash’-Fan?“
Ich kenne namentlich sonst keine weiteren Titel von Dave. „‚Crash’-Fan.“
„Oh.“ Das ist nicht gut.
„Sollte ich es nicht schon erwähnt haben: Du siehst umwerfend aus“, schmeichelt Jonathan mir, als er mir vor dem Theater erneut die Tür aufhält. Das ist doppelt gut.
Direkt vor dem Eingang steht eine Frau, die aus den sechziger Jahren übrig geblieben sein musste. In ihren Armen hält sie einen großen Weidenkorb voller roter Rosen.
„Nein, danke“, sagt Jonathan, fast ohne hinzusehen.
Das ist nicht gut. Sicher, ich weiß, diese ganze Rosennummer ist ein bisschen kitschig, aber wenigstens einmal wünsche ich mir doch, dass ein Mann von mir so beeindruckt ist, dass er mir beim Anblick des Rosenverkäufers ohne zu zögern eine ersteht. Doppelt schlecht, da Jon beinahe durch die Frau hindurchsieht, als wäre sie nicht da.
Im Theater drehe ich mich immer ein wenig in meinem Sitz hin und her, damit mein Magen sich nicht so aufbläht, was er manchmal macht, wenn ich still sitze. Sams Kleid ist ein bisschen eng am Bauch. Gott sei Dank hat sie mir eine von ihren die Figur formenden Strumpfhosen geliehen.
Jon sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen in seinem Sessel, die Hände im Schoß gefaltet.
„Ich kann es kaum abwarten“, sage ich. „Das Stück hat tonnenweise gute Presse bekommen, weil es den Obdachlosen endlich mal eine Stimme gegeben hat.“
„Es ist
wunderbar“, entgegnet er.
„Oh. Hast du es denn schon gesehen?“
„Zwei Mal. Und ich höre andauernd die CD.“
„Oh.“
Er nimmt meine Hand. Seine ist kalt. Er sieht mir in die Augen. „
Ahnst du denn nicht, dass du mein Auftau-Knopf bist?“
singt er mit leiser, fescher Stimme.
„Wie bitte?“ Ich weiß nicht genau, was er singt, aber was mich angeht, könnte es auch japanisch sein, und es wäre mir egal. Mir fällt wieder seine Darbietung von „Summer Nights“ auf der High School ein. Wie konnte ich bloß vergessen, was für eine großartige Stimme er hat?
„Möchtest du nicht mit deinen Fingern durch mein Haar streichen?“
Bitte? „Wie bitte?“
„Das sind Liedtexte aus dem Stück.“
„Oh.“
„Es fängt an.“ Er lässt meine Hand nicht los. Ich glaube, ich bin verliebt.
Und ich bin wirklich verliebt.
Bis zum Auftaulied.
Als die Schauspieler es zu singen anfangen, fängt Jon an zu summen. Und dann explodiert seine Melodie plötzlich zu einem Lied. Ganz laut. Er singt laut mit. Im Theater. Er fängt an, im Wang Center für Darstellende Künste laut mitzusingen.
Er hebt meine Hand in die Luft, die er nach wie vor umklammert, und hält sie sich wie ein Mikrofon vor den Mund: „
Deine Brüste lassen meine Hände schmelzen.“
In Ordnung, eine Zeile halte ich aus, sofern er aufhört.
Jetzt gleich
.
Einige Sekunden hält er den Mund. Es gibt doch noch einen Gott.
Aber seine Rache ist süß. Er kehrt zurück.
Als Duett.
Seine Jungenstimme: „
Warum magst du deine Lederhosen nicht tragen?“
Seine Mädchenstimme: „
Eher mache ich einen Bauchtanz.“
Um Gottes willen.
Die grauhaarige Dame vor uns dreht sich um und wirft ihm einen strafenden Blick zu.
Er merkt es nicht.
Der Mann im Smoking neben ihm sieht Jon an, als wären ihm plötzlich Warzen gewachsen.
Das Pärchen hinter uns fängt an zu kichern. Die Leute lachen, aber nicht mit uns, auch nicht über das Stück. Sie lachen über uns.
Mädchenstimme: „
Gefällt es dir, wenn ich frech bin?“
Jungenstimme: „
Manchmal ist es gut, schlecht zu sein.“
Schlecht. Sehr schlecht.
„Was für ein großartiges Stück“, sagt er, als das Lied zu Ende geht. „Und das Beste kommt erst noch im zweiten Akt. Von dem kenne ich auch jedes einzelne Wort.“
Sehr, sehr schlecht.
Gnädigerweise verhält er sich für den Rest des ersten Aktes ruhig, sieht man von den gelegentlichen Momenten ab, in denen er in deplatzierten Applaus verfällt. Während der Pause flüchte ich mich in den Waschraum.
Die Lichter gehen aus und kündigen den Beginn des zweiten Aktes an. Das Stück geht weiter, und ich bin
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