Großstadt-Dschungel
kommt, da ich selbst ja noch nicht mal weiß, was für ein Typ ich bin. Aber sie nickt sehr überzeugt, also frage ich sie: „Was für ein Typ bin ich denn?“
„Klein, lockiges Haar, hübsch, aufgeschlossen, nett.“ Wenn man bedenkt, was es mich immer für Mühe kostet, mich bei diesen Tests in den Frauenzeitschriften einzuschätzen …
„Woher weißt du denn, dass er
mein
Typ ist?“ Glaubt sie, zu mir passt ein kleiner Mann mit lockigem Haar? Oder ist mein Typ blass und knochig wie Julie? – wenn ich mal davon ausgehen darf, dass er ihr ähnlich sieht. An dieser Stelle habe ich große Hoffnungen; wenn sie meinen Typ definieren kann, erspare ich mir in der Zukunft eine Menge Zeit mit unangenehmen Dates.
„Glaubst du nicht, dass mein Bruder Tim dein Typ sein könnte?“ fragt sie etwas beleidigt. „Er ist ein Pfundskerl.“
Fashion Magazin Spaßregel Nummer 3: Halt dich von Männern fern, die als Pfundskerle beschrieben werden. „Er ist ein Pfundskerl“ ist das männliche Gegenstück zu „Sie hat einen tollen Charakter“.
So oft ich es vorher auch erwogen haben mag (was eigentlich noch nie der Fall gewesen ist, da ich gar nicht gewusst habe, dass Julie einen Bruder hat, mehr noch, es überrascht mich immer wieder, wenn sich bei einem Menschen, mit dem ich seit einer Weile zu tun habe, plötzlich herausstellt, dass er überhaupt ein
Leben
führt, was vermutlich aus meinem Job resultiert, in dem ich vor allem mit Papier-Menschen zu tun habe), die Chancen jedenfalls, jemals mit Julies kleinem, gelocktem, knochigem Bruder mit dem tollen Charakter auszugehen, sind nunmehr gegen null gesunken.
Nicht dass ich etwas gegen kleine, lockenhaarige, knochige Männer mit einem tollen Charakter einzuwenden hätte, erst recht nicht, wenn sie mein Typ sein sollen, aber ich werde nie, ich betone: nie mit einem Mann ausgehen, der denselben Vornamen hat wie mein Vater. Zu merkwürdig. Zu freudsch. Wie sollte ich ihm seinen Namen ins Ohr flüstern? Wie sollte ich in der Ekstase seinen Namen laut ausrufen? Vor Wut schon eher, seinen Namen brüllen, meine ich, nicht flüstern. Nicht dass ich jemals wirklich wütend auf meinen Vater gewesen wäre. Auf meine Mutter schon eher, ab und an, obwohl ich nicht genau weiß, warum. Auch zu freudsch.
„Ehrlich gesagt“, entgegne ich, „habe ich gerade jemanden kennen gelernt.“
Wer lügt, betrügt.
Zeit für die zweite Tasse. Kaffeepausen erinnern mich irgendwie immer an Ferien, nur dass im Verlag keine interessanten Männer rumlaufen, die man zu ignorieren vorgibt. Es laufen noch nicht mal leidlich interessante Männer hier rum. Von den zweihundert Cupid-Mitarbeitern sind einhundertsiebenundsechzig Frauen. Fünfunddreißig dieser Frauen sind schwanger. Wöchentliche Geburtsvorbereitungskurse finden im dritten Stock statt.
Dieses gemeine Männer-Frauen-Ungleichgewicht birgt wenig Potenzial, um eine Freundschaft mit einem Mann zu knüpfen. Wo sonst also könnte ich einen Mann kennen lernen, der mich dann wiederum mit seinem Freund verkuppelt? Ich kann mich ja wohl schlecht an der Bar vor einem Typ aufbauen und sagen: „Hallo, willst du mein Freund sein?“ Andrew würde den perfekten Freund abgeben, aber seit der Pleite im Kino habe ich ihn nicht mehr gesehen. Ich hatte gedacht, ihn eventuell am Freitag im „Orgasm“ zu treffen, aber so ein Quatsch, fiel mir dann ein, der frohlockte sicher woanders mit seinem Zwilling aus Sweet Valley.
Freitagnacht …
Anstatt mit Andrew zu plaudern, musste ich die ganze Zeit versuchen, E-reek zu umschiffen. Es stellte sich heraus, dass er kein Stück adelig ist, sondern lediglich irgend so ein Europäer mit viel Geld. Natalie war nicht besonders beeindruckt. Sie bestand darauf, dass wir ihm die kalte Schulter zeigen, was ihn verrückt machte und ihn veranlasste, andauernd Wodkas zu uns rüber zu schieben, die Natalie verschmähte und die ich trank. Irgendjemand musste es ja tun. Offensichtlich rief Natalies Gleichgültigkeit einen regelrechten Liebesschub in E-reek hervor, was wieder mal die Zickenthese beweist, Spaßregel Nummer vier des Fashion Magazin: Männer wollen dich mehr, wenn du sie nicht willst. (Diese Regel unterscheidet sich deutlich von Nummer zwei, nach der man etwas distanziert bleiben sollte, um deinen Typ auf den Knien zu halten; Nummer vier warnt dich vor der Gefahr, dass überzogene Coolness bewirken könnte, dass man den Typ nicht mehr los wird.) Man nehme zum Beispiel Jonathan. Wir sind nur einmal ausgegangen, was
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