Großstadt-Dschungel
Philip sie zur Weinprobe eingeladen. Eine Weinprobe! Wie lächerlich! Offenkundig, dass er sie betrunken machen und dann mit ihr schlafen will.
Gut, ich bin eifersüchtig. Schrecklich eifersüchtig auf diese kontaktlinsengrünen Augen.
„Leuchten meine Augen?“ Sam wirft mir einen Blick zu.
„Knistern und funkeln.“ Was mache ich heute Abend? Es ist immerhin Samstag. Sam ist verabredet. Natalie ist verabredet. Selbst Andrew hat ein Date mit seinem Zwilling aus Sweet Valley.
Ich setze mich auf das Sofa, wickele mich in Sams weiße Decke und rufe in meiner Verzweiflung meine Schwester an.
„O mein Gott. Du glaubst nicht, was passiert ist.“
„Was denn?“
„O mein Gott. Der Typ, den meine beste Freundin seit sieben Jahren nicht aus den Augen lässt, will mich, und ich mag ihn auch sehr. Was soll ich machen?“
Die Angst eines Teenagers. Ach, die gute alte Zeit. „Mandy will ihn?“
„Nein, Tamara.“
„Ich dachte, Mandy ist deine beste Freundin.“
„Mandy war meine beste Freundin, aber im Moment ist sie so was wie meine zweitbeste Freundin. Also, was soll ich tun?“
„Was willst du denn tun?“
„Wir waren gestern auf einer Party, und jedes Mal, wenn Kyle zu mir rüber kam und mit mir gesprochen hat, hat Tamara mich mit ihren Blicken umgebracht, also konnten wir nur dann reden, wenn sie im Bad war, und im Grunde ist es absurd, weil sie im letzten Jahr auch zehn andere Typen toll fand, und sie kann nicht den Daumen auf jedem Mann haben, der ihr mal gefallen hat. Das ist unfair. Findest du nicht auch?“
Ich glaube, ich hab schon an der Tamara-Mandy-Stelle nicht mehr durchgeblickt. Nicht dass sie wirklich eine Antwort erwartet. Sie kommt ja kaum zum Luft holen.
„Er arbeitet halbtags bei Abercrombie, was wirklich zeigt, wie unwiderstehlich er ist, weil nämlich jeder Mann, der dort arbeitet, unwiderstehlich ist …“
Nachdem ich mir eine Viertelstunde angehört habe, wie unwiderstehlich Abercrombie-Kyle ist, werde ich plötzlich entsetzlich müde. „Iris, ich muss ins Bett!“
„Es ist zehn Uhr. Es ist Samstag!“
Na und? „Lass mich in Ruhe. Ich bin müde.“
„Hast du nichts vor?“
Etwas vorhaben? Was ist das? Ich entscheide mich für eine Lüge. „Ich hatte etwas vor, habe dann aber beschlossen, zu Hause zu bleiben. Gehst du noch aus?“
Beep!
„Bleib dran. Ich kriege einen anderen Anruf.“
„Hallo?“
„Jackie, du bist mein Telefonjoker, und du hast sechzig Sekunden Zeit, die Frage zu beantworten.“ Es ist Bev, meine Stiefmutter. Ich habe keinen Schimmer, wovon sie redet.
„Ich bin dein Telefon-was?“
„Ich spiele ‚Wer wird Millionär?‘ mit deinem Vater und ein paar Freunden, und ich kann die Frage nicht beantworten. Du bist mein Telefonjoker.“
Ich habe jetzt selbst eine Frage: Warum haben meine Eltern an einem Samstagabend mehr Spaß als ich? Ich bitte um Antwort.
„Bleib dran. Ich habe ein Gespräch auf der anderen Leitung.“ Ich hole das Gespräch zurück. „Iris?“
„Hast du mir eigentlich nicht zugehört? Ich gehe auf eine Party im ‚Angies‘, und sowohl Tamara als auch Kyle werden dort sein.“
„Können wir das morgen besprechen?“
„Aber die Party ist heute.“
„Ich muss auflegen.“
„Warum?“
„Bev ist auf der anderen Leitung und braucht Hilfe.“
„Wunderbar. Dann zieh deine zweite Familie getrost mir vor.“ Sie knallt den Hörer auf.
Ich schalte um auf Bev. „Okay.“
„Fertig? Die Uhr läuft.“
„Hast du den Lautsprecher an? Ich hasse es, wenn der Lautsprecher an ist. Hi, Dad! Kannst du das ausschalten?“ Ich sehe nicht ein, dass jemand anderes mitbekommen muss, wie ich mich zum Idioten mache.
„Wem hat T.S. Eliot ‚Das wüste Land‘ gewidmet? War es Andrew Marvell, Ezra Pound, seine Frau Jenifer Eliot, William Carlos Williams oder keiner von ihnen?“
Keiner von ihnen? Warte eine Sekunde; „keiner von ihnen“ gibt es gar nicht. „Fünf Möglichkeiten?“ vergewissere ich mich.
„Wir wollen das Spiel ein bisschen spannender machen.“
Okay, nur die Ruhe.
Ich habe das Gedicht im Grundkurs, im Modernismuskurs und natürlich im Seminar zur Lyrik des 20. Jahrhunderts gelesen. Und nie habe ich auch nur eine der Zeilen verstanden, die auf den Titel folgten. Also. Ich weiß, dass es nicht Marvell ist. „Das wüste Land“ wurde am Anfang des 20. Jahrhunderts geschrieben. Warte eine Sekunde. Das weiß ich genau. „Marvell“, antworte ich.
„Bist du sicher?“
Nein! Nein! Warum habe ich das denn nur
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