Großstadtvampire (German Edition)
jungen Frau in Empfang genommen. Sie stand dort, um die Gäste zu begrüßen, aber auch als zusätzliche Kontrollinstanz. Die zusätzliche Kontrolle war nötig, um das Eindringen von "Nichtmitgliedern" in die Hallen des CCs hundertprozentig auszuschließen. Die Gemeinschaft konnte es sich nicht leisten und außerdem stand ihre Existenz auf dem Spiel, sollte jemals ein Außenstehender von diesen Versammlungen erfahren.
Als Berlin noch von einer Mauer umgeben war und trotz massiver Subventionen aus Westdeutschland immer mehr verfiel, zog die Stadt nicht nur zahlreiche Künstler und Kriegsdienstverweigerer an, sondern auch Vampire aus der ganzen Welt. Der morbide Flair, die verfallenen Hinterhöfe, die leeren Fabriketagen und vergessenen Keller taten ein Übriges. Anfänglich waren es meist die Ausgestoßenen der anderen Vampirgemeinschaften, die hier Zuflucht fanden, die sich an dem Blut der Junkies labten und Ausflüge über die Mauer in den sozialistischen Osten machten, wo sie damit rechnen konnten, dass das Politbüro im Interesse des sozialistischen Vorschritts ihre Überfälle nicht an die große Glocke hängen würde.
Ab einem gewissen Zeitpunkt aber, ungefähr Ende der Siebziger Jahre, nahmen die chaotischen Zustände so überhand, dass sich unter den alteingesessenen und zivilisierten Vampiren Berlins die Einsicht durchsetzte, dass es so nicht weitergehen konnte. Etwas musste sich ändern. Arno war zu diesem Zeitpunkt erst seit wenigen Jahren in Berlin und führte eine Bar in Kreuzberg. Wie die meisten Vampire weltweit, hatte er das Nachtleben als Möglichkeit für sich entdeckt, sich in die menschliche Gesellschaft einzugliedern, ohne weiter aufzufallen. Berlin als Stadt ohne Sperrstunde war dafür ideal. Schon als Arno in der Stadt ankam, kontrollierten die Vampire alle Bars, Kneipen, Discos und Bordelle, ohne dass die Menschen es bemerkt hätten. Menschen und Vampire mischten sich abends und tanzten, soffen und lebten friedlich nebeneinander.
Doch diese harmonische Koexistenz war zunehmend durch die gestrandeten Vampire gefährdet worden. Meist waren sie aufgrund von Regelverletzungen aus ihren Heimatgemeinschaften verstoßen worden. Die Regeln waren einfach und auf der ganzen Welt die Gleichen. Erstens war es strengstens verboten sich zwecks Blutversorgung an lebendigen Menschen zu vergreifen. Solange nämlich Menschen nicht von Vampiren angegriffen wurden, galten sie in deren Bewusstsein als Märchen und Aberglaube. Wenn es aber zu Übergriffen kam, die die typische Signatur eines Vampirs trugen, stiegen sofort die alten Ängste wieder auf und es wurden überall Vampire vermutet und Gegenmaßnahmen ergriffen. Die galt es zu vermeiden und die strengen Regeln und Sanktionen hatten sich insofern seit hundert Jahren mehr als bewährt. Dies war sicherlich auch der Kontrolle über die menschlichen Blutbanken zu verdanken. Damit war die Versorgung aller Vampire mit Blut gesichert und das Beißen und Aussaugen von Menschen nicht mehr von Nöten.
Die zweite und genauso wichtige Regel war das Verbot, Menschen in Vampire zu verwandeln. Dies geschah entweder durch dreimaliges Beißen oder durch die Verabreichung des eigenen Blutes durch einen Vampir an einen Menschen. Es bestand bereits weltweit eine Überpopulation an Vampiren und da durch das Aussterben des Berufsstandes der Vampirjäger kein Vampir mehr ausgelöscht wurde, musste das delikate Gleichgewicht von Mensch und Vampir bewahrt werden. Vor allem aber gefährdeten damals die sogenannten Junkievampire dieses Gleichgewicht. Die hatten die zahlreichen Heroinabhängigen der Stadt für sich entdeckt und sich an dem Blut dieser wehrlosen Kreaturen gelabt, um ihren Hunger nach Blut zu stillen. Dabei hatten sie aber die Wirksamkeit und das Abhängigkeitspotenzial des Heroins unterschätzt und waren selbst abhängig geworden. Insofern kehrten sie immer wieder zu ihren Opfern zurück, um ihr Verlangen nach Blut und Heroin zu befriedigen und verloren zunehmend die Kontrolle über ihr Handeln und hatten am Ende ihr Opfer mehr als drei Mal gebissen. In ihrem andauernden Rauschzustand waren sie unfähig, ihren Verpflichtungen nachzukommen, nämlich den Neuvampir in die Regeln und Bräuche des Vampirdaseins einzuführen, und so waren diese komplett sich selbst überlassen. Die Neuvampire irrten orientierungslos herum, randalierten auf ihrer Suche nach Blut und Heroin nicht nur durch die Junkieszene und bissen alles, was ihnen über den Weg lief. Das Gleichgewicht
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