Grote, P
Gegenwart und haben die Zukunft vor uns.«
Dagegen lässt sich wenig sagen, dachte Martin und verbiss sich das Grinsen. Gleichgültig in welcher Sprache, die Politiker trampelten alle auf denselben Gemeinplätzen herum. Das hieß für ihn, dass die Menschen, egal in welchem Land, für dieselben nichtssagenden Parolen empfänglich waren.
»Wir können nicht ewig in der Vergangenheit herumstochern.«
Danach hatte Martin ihn gar nicht gefragt, aber der Direktor ging auch nicht auf seine Fragen nach den neuen Agrarstrukturen, der Privatisierung der Landwirtschaft und ausländischen Investitionen im Weinbau ein. Er salbaderte und nutzte Martins Frage, ob genügend Fachkräfte seinen Investoren zur Verfügung stünden, zum Abschweifen in die Vergangenheit. Anscheinend hielt er die Frage für eine Provokation.
»Eine Gesellschaft, die permanent Nabelschau betreibt, kommt nicht voran. Was wir brauchen, ist Wachstum, sind loyale Mitarbeiter, die ihre Chefs nicht ständig in Zweifel ziehen. Um handeln zu können, braucht man die Sicherheit, dass die Mitarbeiter auch den Anweisungen folgen, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Auch Ihr Land wäre weiter, wenn Sie nicht immer wieder in der Vergangenheit herumwühlen würden. Wem nutzt das? Sicher nur interessierten Kreisen.«
Welche Kreise mochte er meinen?, fragte sich Martin.
»Wie lange ist der Krieg vorbei? Mehr als sechzig Jahre. Es hilft niemandem, die Schrecken der Vergangenheit zu beschwören. Was geschehen ist, ist geschehen – ob allerdings in dem Ausmaß, wie behauptet wird, möchte ich bezweifeln. Das sind Vorwürfe, die man uns macht. Da wird mit Zahlen gearbeitet, die sich jeder Überprüfung entziehen.«
Sollte Martin protestieren? Es gab überall Menschen, die den Holocaust leugneten, sogar in Frankreich. Was man in Rumänien den Juden angetan hatte, entzog sich seiner Kenntnis, aber da Rumänien an deutscher Seite gegen die UdSSR gekämpft hatte, waren rumänische Juden sicher nicht verschont worden.
»Man wird nicht frei, wenn man sich ständig selbst zerfleischt«, fuhr der Übersetzer fort, »oder sich Vorwürfe macht. Wir brauchen Loyalität, Zuverlässigkeit und Patrioten, gerade in den Zeiten des Aufbaus. Obstruktion war schon immer die Sache unserer Feinde, aber sie werden sich nicht durchsetzen.«
Welche Feinde meinte der Direktor damit? Die kleine Sofia etwa?
»Wie ergeben wir Rumänen sind, werden Sie bald feststellen, wenn Sie oder Ihre Partner bei uns arbeiten, davon bin ich fest überzeugt. Sie werden Menschen finden, die ihr Letztes geben, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Es macht Spaß zu sehen, wie dieses Land sich entwickelt. Der Rumäne ist ein Patriot, er liebt seine Heimat, wir lieben unser Land, das ist möglicherweise der Grund für manchen Fehler, dass viele es zu gut meinten. Viele haben, so müssen Sie das sehen (was der Übersetzer mit einem Kopfnicken unterstrich), aus gutem Glauben gehandelt . . .«
». .. und dazu gehört es auch, ein ganzes Volk zu überwachen, über Jahrzehnte hinweg?«, wagte Martin einzuwerfen.
Der Übersetzer wand sich, wusste nicht, ob er den Einwurf übersetzen sollte, Martin nickte ihm aufmunternd zu.
Sofort fühlte Tudor Dragos sich angegriffen und wurde lauter, er herrschte den Übersetzer, der Martin nicht namentlich vorgestellt worden war, geradezu an. »Was wissen denn Sie, wie es damals bei uns aussah? Das wissen sogar heute die wenigsten. Und manche, die damals Kinder waren, maßen sich an, darüber eine Meinung zu äußern.« Dakonnte wirklich nur Sofia gemeint sein – oder war sie nicht so wichtig?
»Es gibt Menschen, und vor denen sollten Sie sich hüten, die unterwandern den Staat, ja, Sie werden es kaum glauben, sogar dieses Ministerium, sie benutzen die Einrichtungen des Staates für ihr eigenes Fortkommen, bauen ihre Karriere darauf auf, dass sie Kollegen denunzieren. Das haben sie im Kommunismus gelernt, und sie führen dieses schmutzige Spiel weiter. Ich kann Ihnen versichern, sie werden in unserem neuen demokratischen Staat damit nicht durchkommen. Diese Leute erkennt man am sichersten daran, dass ihre fachliche Kompetenz gleich null ist!«
Durch die Übersetzung ergab sich für Martin nicht nur eine ungeheure Distanz zu Tudor Dragos, sondern auch zu dem, was er sagte. Die Worte waren fremd, sie hörten sich an wie ein abgelesener Vortrag, und doch lag hinter allen eine Drohung, ja mehr eine Bedrohung und vielleicht sogar eine Warnung.
»Wir verstehen es, gute Weine zu
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