Grote, P
lesen. Es war kyrillische Schrift, glaube ich, bulgarisch oder russisch, vielleicht, doch der Name stand auch lesbar drauf, den habe ich erkannt – er hieß Zodiac!«
8
Es hatte eine Weile gedauert, bis Martin das System erkannt hatte, nach dem die Liste aufgebaut war. Die Namen der Makler, der Anwälte, ihrer Kanzleien und potenzieller Verkäufer sowie die von Personen, in der Rubrik »nützlich« aufgeführt, waren nach Regionen gegliedert. Er hatte eine Landkarte zur Hand nehmen müssen: Muntenia war mit der Walachei identisch und reichte von den Karpaten bis hinunter an die Donau. Am jenseitigen Ufer begann Bulgarien. Das Gebiet Dobrogea, wo er sich gegenwärtig aufhielt, grenzte im Osten ans Schwarze Meer und an die Ukraine, darüber, weiter nördlich, lag Moldova. Alles »böhmische Dörfer«, obwohl er nicht eines kannte. Der Spruch war so blöd wie »irgendwo in der Walachei«.
Wenn er hier in Murfatlar seine Arbeit beendet hätte, wollte er nach Odobeşti, es lag zwanzig Kilometer von Focşani entfernt, der nächsten größeren Stadt, wo ihn der Dolmetscher treffen wollte. Beide Orte lagen nordöstlich des Weinbaugebietes Dealu Mare, wo angeblich die besten Rotweine Rumäniens herkamen. Wenn das stimmte und wenn der Zodiac ein rumänischer Wein war, kam er womöglich von dort. Vom Boden und dem Klima her musste sein Ursprungsgebiet ideal sein. Dann fehlten noch die richtigen Rebstöcke und die Hand eines großartigen Winzers. Bei dem Alter des Weins – er war sicher seine dreißig Jahre alt – war es zweifelhaft, ob der Mann überhaupt noch lebte und ob dasWeingut nicht längst irgendwelchen sozialistischen Enteignungen oder kapitalistischen Bodenreformen anheimgefallen, verkauft und aufgeteilt war. Martins Spürsinn hatte angesprochen, er hatte eine Duftspur entdeckt, von der er nicht mehr lassen wollte – oder konnte? Duft und Geschmack des Zodiac hatten sich unauslöschlich in sein olfaktorisches Gedächtnis geschrieben. Am liebsten wäre er sofort nach Dealu Mare aufgebrochen, aber Murfatlar stand auf dem Programm.
Wie ließe sich Harms Liste sinnvoll einsetzen? Wenn Martin alle aufgeführten Personen besuchen würde, wäre er mit seinem Bericht in zwei Monaten noch nicht fertig. Aber am Einschlafen hatten ihn ganz andere Fragen gehindert: Woher kannte Harms seinen Auftrag? Bestand zwischen ihm und der SISA eine Verbindung? Stand er mit Sofias Chef, mit ihr oder Lucien in Verbindung? Martin erinnerte sich an das, was er zwischen den Geschwistern als heimliches Einverständnis wahrgenommen hatte, als er nach dem Namen gefragt hatte. Oder kam noch jemand ganz anderes infrage? Einer der Winzer vielleicht, mit denen er in den nächsten Wochen Besuche vereinbart hatte?
Die Frage hielt Martin wach, er warf sich im Bett von einer Seite auf die andere, hörte die Stimmen von der Straße, Fahrgeräusche, zuklappende Autotüren, die Toilettenspülung und das Schnarchen aus dem Nebenzimmer. Wie viel entspannender wäre das Rauschen des Meeres gewesen, wenn er im »Malibu« ein Zimmer mit Meerblick genommen hätte. War Harms ihm von dort aus gefolgt? Dann ließ ihn die Hitze nicht schlafen, doch hätte er die Klimaanlage eingeschaltet, wäre er am nächsten Morgen mit Halsschmerzen aufgewacht. Er musste herausbekommen, wer dieser Harms war, was er wollte und wer ihn geschickt hatte. Sich mit den Personen auf der Liste zu beschäftigen lenkte zu sehr von seiner eigentlichen Aufgabe ab. Er musste ein Weinbaugebiet finden, wo gute Weine wachsen konnten, und dort Weinberge finden,die zum Verkauf standen. Alles andere waren Nebensächlichkeiten. Also sollte er auch Harms als eine solche betrachten.
Da war noch eine andere Frage, die durchaus mit seiner Aufgabe in Verbindung stand, und sie betraf den Wein. Einen ähnlich bemerkenswerten Tropfen hatte er lange nicht vorgesetzt bekommen. Woher kam der Zodiac wirklich? Weshalb standen griechische Buchstaben auf dem Etikett? Hatte der Ober sich womöglich geirrt? Waren es die Rebsorten, die Martin vermutete, denn es gab noch diesen fremden Ton, der nicht dazu passte. Welchen Jahrgang hatte er probiert? Und die dümmste Frage von allen, weil sie mit einem Warum begann, lautete: Warum hatte Harms ihn all das nicht wissen lassen? Sein Wein musste sich nirgends verstecken, er war durchaus zu vergleichen mit großen Namen wie dem Clos Mogador, dem Barbaresco Angelo Gajas oder Martins über alles geschätztem Pinot Noir von der Domaine Marchand-Grillot, einem Gut der
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