Grote, P
es kommt darauf an, wer man ist und wen man wie gut kennt . . .«
». .. und der Zeitpunkt ist entscheidend. Könnte es sein, dass Sie, lieber Martin, ein wenig spät hier erschienen sind?«
Das war Martin heute auch in den Sinn gekommen. »Um das herauszufinden, bin ich hier.«
»Das kostet doch sicher viel Geld, so eine Untersuchung zu machen, die Sie durchs ganze Land führt. Wer bezahlt Ihnen das?«
»Niemand. Ich bezahle das, so ist das bei Freiberuflern, man trägt das Risiko allein.« Simion hatte ihn schon wieder verunsichert, und er schaute auf seine Armbanduhr, um dem Blick des Amerikaners auszuweichen. Er musste dringend erfahren, was mit Sofia geschehen war, wie es ihr ging und um was für eine Art Unfall es sich handelte. Er stand abrupt auf. »Sie entschuldigen mich bitte, Marc!«
»Aber Ihr Essen wird kalt.«
Martin kümmerte sich nicht darum und ging ins Innere des Restaurants, wo er nach den Toiletten fragte. Auf dem Weg dorthin dachte er an Coulange und seine Ausrede bei ihrem ersten Zusammentreffen in Bordeaux. Vor der Toilettentür blieb er unter einem Rundbogen stehen und behielt Simion im Auge, der sich gut gelaunt über sein Fischgericht hermachte.
Lucien meldete sich sofort.
Simion sah erstaunt auf, als Martin an den Tisch zurückkam. »Was ist mit Ihnen? Sie sehen aus, als sei jemand gestorben. Sie sind entsetzlich blass.«
Martin setzte sich langsam und rückte mit dem Stuhl an den Tisch. Er griff nach dem Weinglas und blickte lange hinein, ohne etwas zu sagen. Er sah die reflektierende Oberfläche, die winzige Wellen warf, denn seine Hand zitterte. Schweigend sah er Simion ins Gesicht, was diesem sichtlich unangenehm war, und unsicher wich er Martins Blick aus.
»Was ist los mit Ihnen? Geht es Ihnen nicht gut?«
In Simions Augen meinte Martin Besorgnis zu sehen oder eine diffuse Unruhe, es konnte auch Angst sein, Angst vor dem, was Martin jetzt sagen würde?
»Eine Bekannte von mir ist tot.« Wenn sie ehrlicher gewesen wäre, hätte sie auch eine Freundin werden können, dachte er und schämte sich über sein eigenes Versteckspiel. »Sie wurde letzte Nacht in Bukarest angefahren, Fahrerflucht. Heute ist sie im Krankenhaus gestorben.«
»Fahrerflucht?«
Martin nickte. »Ja. Sie lag leblos auf der Straße.«
Simion ließ die Gabel auf den Teller sinken. »Hat nicht früher Ceauşescus Geheimdienst Securitate seine Gegner auf diese Weise umgebracht?«
10
Da Lucien am Telefon nichts weiter über die Todesumstände seiner Schwester hatte sagen wollen, fuhr Martin am nächsten Vormittag kurzerhand nach Bukarest zurück. Simion hatte er mitgeteilt, dass er den Dolmetscher abholen wollte, und sich mit ihm für den übernächsten Tag in Odobeşti verabredet, dem Weinbaugebiet östlich von Dealu Mare, wo er eine neue Kooperative besuchen wollte. In Bukarest stieg er schweißgebadet nach einer nervenaufreibenden Tour in einem anderen Hotel ab als beim ersten Aufenthalt. Die Paranoia der Geschwister hatte ihn tatsächlich angesteckt. Und Simions Andeutungen bildeten den perfekten Nährboden für Verfolgungswahn.
Vom Hotel aus nahm er sofort Kontakt zu Lucien auf, doch der vertröstete ihn von Stunde zu Stunde, mehrmals rief Martin bei ihm an, merkwürdigerweise erschienen bei jedem zweiten Anruf andere Telefonnummern auf dem Display seines Mobiltelefons. Als sie sich endlich trafen – es war mittlerweile Abend geworden –, war Martin ärgerlich und gleichzeitig beunruhigt, denn mehr, als dass Sofia angefahren worden war und der Fahrer anschließend geflüchtet sei und dass sie im Hospital an einer Schädelfraktur gestorben war, hatte er nicht erfahren. Ansonsten hatte Lucien am Telefon lediglich ihren Treffpunkt durchgegeben.
Als sie sich in dem winzigen Café im Zentrum trafen, sprach Martin ihn auf sein Gebaren an, nachdem er ihnseines Mitgefühls versichert hatte, was sich ziemlich flau angehört hatte. Am ehrlichsten waren da noch Tränen, ein Händedruck, ein klarer Blick in die Augen und eine wortlose Umarmung. Sofias tödlicher Unfall war für Martin bislang lediglich ein erschreckendes Ereignis gewesen, jetzt aber, wo er sich an ihren gemeinsamen Abend am See erinnerte, merkte er, dass ihr Tod ihn traf. Und womöglich betraf er sogar ihn?
Lucien bemühte sich um Fassung und um eine klare Antwort. »Ich habe die SI M-Karten gewechselt, weil ich nicht will, dass Sie mit reingezogen werden oder dass man auf Ihrem Mobiltelefon feststellt, wer Sie angerufen hat. Ich
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