Grote, P
Staatssicherheit. Und dann sind noch vierunddreißig ehemalige Personenschützer der Stasi als Wachleute dort. Deren Kaderakten sollen verschwunden sein – und nicht nur die, auch alle Akten, die Aufschluss über mögliche Westkontakte von Stasi-Agenten geben.«
Martin war ehrlich verblüfft. »Sie wissen ja verdammt gut Bescheid.«
»Es ist meine Aufgabe, Bescheid zu wissen.«
»Sie werden mir ja sicherlich irgendwann erzählen, weshalb. Und was hat es mit dem Unfall Ihrer Schwester auf sich?«
Lucien besann sich wieder. »Sofia?« Er senkte den Kopf,seufzte und tastete die Jackentaschen ab. »Haben Sie Zigaretten? Nein, Sie rauchen nicht?« Er stand auf und ging zum Tresen, wo er ein Päckchen kaufte. Er zündete sich eine Zigarette an und zog den Qualm tief in seine Lungen, bekam einen Hustenanfall, aber er rauchte weiter. »Vor vier Jahren habe ich es aufgegeben – letzte Nacht, im Krankenhausflur, da habe ich wieder angefangen. Sie ist gestorben. Ich war dabei. Erst unser Vater. Dann starb sie, jetzt bleibt mir nur noch die Mutter.«
Er wurde blass, sodass Martin fürchtete, er könne umfallen.
»Sofia – ja, meine Sofia.« Lucien gab sich einen Ruck. »Sie war im Begriff, im Ministerium etwas aufzudecken. Es existiert ein Netzwerk, ein kriminelles, ein Ring von Beamten. Das hat ihr nicht gefallen, mit solchen Leuten in Regierung und Verwaltung schafft man keinen demokratischen Staat. Lobbyisten werden finanziert, sie kaufen sich über die Parteien einen sicheren Listenplatz, der Preis liegt bei etwa hunderttausend Euro – und schon sind sie im Parlament. Seit zwei Jahren war sie an der Arbeit, hat recherchiert, beobachtet, gefragt, alte Akten und Verträge durchforstet, sehr viele Leute befragt – anscheinend war sie nicht vorsichtig genug. Sie hat sich diskret nach Hilfe umgesehen, niemandem hat sie vertraut, niemandem – und Sofia hat sich Sorgen um Sie gemacht, Martin. Ja. Es geht um Beamte, um Anwälte, um Politiker und Behörden, Unternehmer, Banken, und auch um Leute wie Sie . . .«
». .. oder solche wie Elmar Harms . . .«, unterbrach ihn Martin.
». .. um wen auch immer, und wie sie auch momentan heißen mögen«, brummte Lucien ausweichend und schaute weg. So einfach ließ er sich nicht zu einer unbedachten Äußerung hinreißen. »Was hat Sofia Ihnen bei Ihrem Gespräch neulich im Ministerium Brisantes mitgeteilt? Woran erinnern Sie sich?«
Martin verstand nicht, worauf Lucien hinauswollte. »Was hat ihr Tod damit zu tun? Hat er damit was zu tun?«
»Das will ich ja gerade herausfinden.«
»Es ging eher allgemein um Korruption, auf das Land bezogen. Bei privaten Investoren sei vieles besser geworden. Aber sobald man mit dem Staat und den Behörden zu tun hätte, wäre es eine Katastrophe. Das bekäme Rumänien einfach nicht in den Griff. Und sie bezweifelte, dass die Regierung es überhaupt anstrebe. Namen und konkrete Fälle hat sie gar nicht genannt.«
»Und doch scheint das bereits zu viel gewesen zu sein. Es hat gereicht. Ich bin überzeugt, dass sie ermordet wurde.«
Hatte Martin bis jetzt geglaubt, dass Lucien sich in eine fixe Idee verrannt hatte, so war dieser Satz mit so viel Ernst vorgebracht, dass ihn fröstelte. Er blickte sich verunsichert in dem kleinen schmuddeligen Café um. Bis auf die Bedienung, zwei Jugendliche, die in einer Ecke Händchen hielten, und zwei Alte, die wortlos in ihren Tassen rührten, war niemand im Raum. »Wissen Sie irgendwas Konkretes?«
Lucien hatte seine Reaktion bemerkt und lächelte. »Es gibt einen Zeugen, ein Mann hat den Wagen gesehen, er beschleunigte, als sie über die Straße ging, er fuhr ohne Licht auf sie zu und bremste nicht eine Sekunde. Sofia wurde in hohem Bogen durch die Luft geschleudert. Der Wagen fuhr dann mit hoher Geschwindigkeit weiter. Es war ein neuer silbergrauer BMW oder Audi, davon gibt es Hunderte in Bukarest. Leider war der Zeuge so geschockt, dass er vergaß, sich die Autonummer zu merken. Das hat man mir jedenfalls so gesagt.«
Lucien drückte die Zigarette aus und zündete sich nach einem kurzen Moment die nächste an. »Oder er hat Angst, eine Aussage zu machen«, murmelte er nach einer langen Pause.
»Das ist durchaus möglich, wenn es sich so verhält wie Sie vermuten«, pflichtete Martin bei. Gleichzeitig wehrte er sichgegen diesen Gedanken und Luciens Verfolgungswahn. Er wehrte sich dagegen, dass diese Gefühle auf ihn übergriffen. Sie konnten seinen Auftrag gefährden. »Haben Sie den Zeugen getroffen
Weitere Kostenlose Bücher