Grote, P
diesen Worten war Martin wieder hellwach. »Er kann nicht sagen, wann genau das gewesen ist und wo der Wein herkam, Jahrgang und Ursprung?«
»Nein, aber er will sich darum kümmern. Er will ein wenig herumfragen – natürlich diskret«, unterstrich Teubner, als er Martins Seitenblick auffing. »Was liegt Ihnen daran? Woher wissen Sie von dem Wein? Wer hat Ihnen davon berichtet?«
Das waren zu viele Fragen, als dass Martin nicht seinerseits hellhörig wurde. Das war nicht nur Neugier, da war mehr dahinter, und er musste mit der Antwort vorsichtig sein.
»In Murfatlar hat mir jemand davon erzählt, aber man wusste auch nicht mehr zu sagen, außer dass es ein großartiger Wein gewesen sein muss. So etwas könne heute niemand mehr machen – oder das gäbe es nicht, die teuren Weine von heute folgten alle einer moderneren, internationalen Linie oder lägen auf der Billigschiene.«
»Wer hat das gesagt?«
»Ich weiß es nicht, irgendwer erwähnte es im Gespräch auf dem Weingut.« Martin fühlte sich ein wenig in die Enge getrieben, er musste das Gespräch auf ein anderes Gleis bringen. »Darf ich Sie etwas im Vertrauen fragen?« Er wusste, wie dusselig diese Formulierung war, aber sie war als Einleitung ganz brauchbar. Sie machte den anderen neugierig – und wer ließ sich nicht gern ins Vertrauen ziehen?
»Ich bin schließlich Ihr Dolmetscher. Wenn Sie kein Vertrauen haben, kann ich im nächsten Dorf aussteigen. Ich will es nicht einfordern, das ist ganz und gar Ihre Sache.«
»Es ist aber persönlich.«
»Was ist nicht persönlich? Wir werden zwei Wochen miteinanderreisen, vierzehn Tage zusammen verbringen, gemeinsam arbeiten, auf engstem Raum.«
»Schon gut. Es dreht sich um Sofia, Sie kennen sie?«
»Ja, ich kannte sie!«
Martin verstand die Richtigstellung. »Halten Sie es für möglich, dass es stimmt, was ihr Bruder annimmt?«
»Sie bezweifeln, dass man Sofia absichtlich überfahren hat, um sie aus dem Weg zu räumen?«
Klarer ließ es sich nicht sagen, und es war Martin peinlich, es zuzugeben. »So in etwa. Sie sehen doch, wie die Leute hier fahren, wie die Bekloppten, als hätten sie den Wagen erst seit gestern . . .«
»So ist es«, unterbrach ihn Teubner, »sie haben die Autos erst gestern gekauft. Ihr habt sie ihnen verkauft: Mercedes, BMW, Audi, damit kann man großartig angeben.«
»Nichts passt hier: die Autos nicht zu den Menschen, die Straßen nicht zu den Autos und die Geschwindigkeiten nicht zu den Menschen.«
Hinter ihm flammte eine Flutlichtanlage auf, dazu ertönte das Horn eines Zwanzigtonners, Martin riss vor Schreck das Steuer nach rechts, und im Abstand von Zentimetern rasten an ihm ein Ferrari, ein mächtiger Geländewagen und eine weiße BM W-Limousine vorbei.
»Genau das meine ich«, sagte Martin keuchend.
»Das ist Landstraße, da müssen sie ihre Spielzeuge ausprobieren.«
»In Bukarest hört man nachts auf den Boulevards die Motoren heulen . . .«
»Sofia wurde in einer Seitenstraße überfahren! Es gibt einen offiziellen Autopsiebericht und das, was die Assistentin des Pathologen Lucien im Vertrauen gesagt hat – wir sollten das Thema beenden.« Teubner klang verstimmt.
Sie erreichten den Ortseingang von Buzău, und es war Martin lieb, dass er sich auf den Verkehr der Kleinstadt konzentrieren musste. Quer durch die Stadt herrschte roteWelle, an jeder Ampel, es gab alle zweihundert Meter eine, war er zum Halten gezwungen. Ließ sich nur so dem neuen Geschwindigkeitsrausch der Rumänen Einhalt gebieten? Am Ortsausgang überquerten sie den Fluss, nach dem Buzău benannt worden war, dahinter stieg das Land leicht an, der ferne Höhenzug rückte näher, links breiteten sich die ersten Weingärten aus. Bei diesem Grad von Verwahrlosung konnte es sich nur um Anlagen mit Hybridstöcken handeln oder um die Weingärten verarmter Bauern, doch auf die Entfernung hin ließ sich das nicht genau sagen.
Der Dolmetscher griff das letzte Thema wieder auf. »Würde ich an Luciens Worten zweifeln, dann wäre er nicht mein Freund. Wir sind unser halbes Leben lang befreundet.«
»Sie kannten seinen Vater?«
»Nein. Davon hat er Ihnen erzählt? Das erstaunt mich, dann muss Lucien viel von Ihnen halten, darüber redet er sonst nicht. Er ist der misstrauischste Mensch, den ich kenne, ich zweifele nie an dem, was er sagt.«
An seinem Freund Gaston hatte Martin auch nie gezweifelt. Aber als er einmal nicht richtig auf die Zwischentöne geachtet hatte, ein einziges Mal in den zehn
Weitere Kostenlose Bücher