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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wein des KGB
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Jahren, in denen sie sich gekannt hatten, war es zur Katastrophe gekommen. Was andere auch sagen mochten – er machte sich deshalb bis heute Vorwürfe.
    »Hat er Ihnen den möglichen Grund genannt?«
    »Wer? Wofür?«, fragte Martin.
    »Na, Lucien natürlich.«
    »Ach, es hätte mit ihrer Arbeit im Ministerium zu tun. Dann wissen Sie, dass wir bei unserem Gespräch abgehört wurden?«
    »Wir werden immer abgehört, sie haben die Leitungen nie gekappt. Wer hätte es tun sollen? Alles ging so weiter wie bisher. Die Kommunistische Partei wurde nie entmachtet, nur anders angemalt, statt Hammer und Sichel jetzt ShareholderValue und Mikrochip. Sie wissen von dem Ausschuss zur Aufklärung der Securitate-Verbrechen?«
    »Ist das so etwas wie die deutsche Gauck-Behörde?«
    »Dort haben wir uns nach langer Zeit wiedergetroffen, Lucien und ich. Die Behörde wurde erst zehn Jahre nach dem Umsturz gegründet. Bis dahin ließen sich alle kompromittierenden Dossiers entsorgen und alle Lebensläufe umschreiben. Erst vor zwei Jahren wurden die restlichen Akten, oder das, was man rausgeben wollte, an die CNSAS überstellt, so heißt die Behörde. Ihre Mitarbeiter haben ein ehrliches Interesse, aber ihnen sind die Hände gebunden, von der Regierung, vom Parlament, von der Justiz. Unsere Richter werden von der Politik bestimmt. Das Verfassungsgericht hat kürzlich ein Urteil gefällt, dass die CNSAS ihre Befugnisse überschreite und die Freiheitsrechte der Betroffenen einschränke, wenn sie Informationen über die kompromittierende Vergangenheit Einzelner veröffentlicht. Die Begründung: Eine Art der parallelen Justiz sei inakzeptabel. Das Urteil hat Dan Voiculescu erwirkt, der früher für die Securitate unter dem Decknamen ›Felix‹ gearbeitet hat, er war Ceauşescus Devisenbeschaffer. Heute ist er ein Medienmogul, Parlamentsmitglied und Chef der Konservativen Partei. Der Schuldspruch der CNSAS hätte ihn automatisch von politischen Ämtern ausgeschlossen, aber das ist vom Tisch. Es geht nicht um Wahrheit, es geht um Macht. Wer vom anderen etwas weiß, kann ihm schaden.«
    »Wird das irgendwo anders gehandhabt?«, fragte Martin. Er glaubte es nicht. Mit zunehmendem Alter blickte man besser durch und wandte sich angeekelt ab, oder konkreter Hilfe zu wie Charlotte. Wenn er nicht mit ihr verheiratet wäre, hätte er alles drangesetzt, sie kennenzulernen.
    »Für uns ist es wichtig, wer seine Nachbarn bespitzelt hat, wer in den Betrieben spionierte, welcher ehemalige Agent heute auf der demokratischen Welle surft oder als Journalist auftritt.«
    »Und was macht ihr mit den Informationen? Ihr übt Macht aus . . .«
    »Das ist was anderes.«
    Das sagen sie alle, dachte Martin, aber es war jetzt besser, den Mund zu halten. Seine Lebensphilosophie war es, nie so groß zu werden, dass man gesehen wurde und andere ihn für gefährlich halten konnten, er durfte nicht auffallen und damit Neid erwecken. Er wollte seine Ziele ohne großes Geschrei erreichen. Einmal hatte er sein Prinzip aufgegeben und sich wirklich exponiert, was ihn fast das Leben gekostet hätte. Aber das musste er Teubner nicht auf die Nase binden. Stattdessen wiederholte er seine Frage: »Sie haben mir nicht gesagt, was Sie mit dem Wissen über andere anfangen.«
    Teubner betrachtete die Pferde, die rechts der Straße auf zaunlosen Weiden grasten. »Sie können sich nie austoben.« Er schien zu überlegen, ob Martins letzte Frage ernst gemeint war oder was er antworten sollte. Er kämpfte anscheinend mit sich selbst, dann überwand er sich.
    »Wir sind dabei, eine neue politische Gruppierung zu schaffen, eine mit ernsthaften Zielen . . .«
    Das menschliche Antlitz Luciens, dachte Martin, da war es wieder, er hätte es sich denken können, wenn Lucien mit von der Partie war. Noch zwei Wahnsinnige oder Verirrte, dachte er, mit einem sicher gut gemeinten, aber verzweifelten Unterfangen. Die Menschheit gab allem Anschein nach den Traum einer gerechten Gesellschaft nicht auf. In den Verbänden der Winzer war es ähnlich. Es gab die Vorsitzenden und die Apparatschicks, die hätten am liebsten allein geherrscht, aber sie mussten sich, mehr übel als wohl, mit den Mitgliedern arrangieren. Da waren die Mitläufer, Claqueure und das Stimmvieh, Karteileichen, solche wie er, und es gab die, die immer wieder gegen die verkrusteten Strukturen anrannten. Er ließ Teubner reden.
    Ihn interessierte der bevorstehende Besuch bei der Kooperative. Es würde sich zeigen, was aus dem Versuch

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